Privatschulen: Faire Regulierung ist notwendig

Private Ersatzschulen

In Deutschland gibt es doppelt so viele Privatschulen wie vor rund 20 Jahren. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesländer ihre Spielräume jetzt streng limitieren und den sozial gerechten Zugang zu Schule gewährleisten.

Das Verhältnis von öffentlichen zu privaten Schulen ist in den vergangenen Jahren beträchtlich in Bewegung gekommen: Seit dem Jahr 2000 hat sich der Anteil von Privatschulen fast verdoppelt. Rund neun Prozent der Schüler*innen besuchten im Schuljahr 2016 / 2017 eine allgemeinbildende Privatschule.

Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit dem anhaltenden Zuwachs nicht alleine da: In vielen europäischen Staaten und weltweit boomen Privatschulen. Großen Zulauf erfahren vor allem staatlich geförderte Privatschulen, also Privatschulen, die zu mehr als 50 Prozent ihrer Kosten – teilweise sogar vollständig – staatlich bezuschusst werden. So werden beispielsweise die staatlich geförderten Privatschulen in England und Schweden zu 100 Prozent staatlich subventioniert, dürfen umgekehrt aber kein Schulgeld verlangen. Die staatliche Finanzierung privater Schulen ist an klare und nachprüfbare Vorgaben gebunden: Die Privatschulen sind finanziell den öffentlichen Schulen gleichgestellt und zur Teilnahme an Schulinspektionen und vergleichenden nationalen Kompetenztests verpflichtet. Anders ist es in Deutschland und Österreich geregelt. Dort zahlen Eltern an staatlich geförderten Privatschulen Schulgeld.

Das deutsche System der Privatschulregulierung nimmt im Vergleich zu England, Österreich und Schweden eine mittlere Position ein. Einerseits verlangt es keine vollständige Bindung der privaten Ersatzschulen an die für die öffentlichen Schulen geltenden Standards, andererseits garantiert es auch nicht deren Vollfinanzierung. Da der staatliche Zuschuss den (weit) überwiegenden Teil der Finanzierung abdeckt, ist es in dieser Konzeption unerlässlich, dass Genehmigungsvorgaben des Grundgesetzes (GG) ernst genommen, effektiv kontrolliert und eingehalten werden. Die Vorgaben bilden die Grundlage für den Anspruch auf staatliche Förderung.

Genehmigung von Privatschulen

Das Grundgesetz mit Artikel 7 Absatz 4 sichert das Recht zur Errichtung von Privatschulen. Die Verfassung lässt jedoch Schulen in nicht staatlicher Träger*innenschaft nur eingeschränkt zu. Wenn private Schulen als Ersatz für eine öffentliche Schule dienen, müssen sie vom Staat genehmigt werden. Sogenannte Ersatzschulen müssen bestimmte Mindestvorgaben erfüllen. So dürfen private Ersatzschulen mit ihren Lehrzielen, der räumlichen Ausstattung sowie der Qualifikation des Lehrpersonals „nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen“ (GG Artikel 7 Absatz 4). Darüber hinaus müssen die Schulen für alle Kinder unabhängig von den finanziellen Verhältnissen der Eltern zugänglich sein, sodass eine „Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“ (GG Artikel 7 Absatz 4).

Private Ersatzschulen werden allerdings häufiger von Kindern besucht, deren Eltern tendenziell über einen höheren sozialen Status, eine höhere Bildung und  / oder ein höheres Einkommen verfügen. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass das Schulsystem einer sozialen Spaltung und einer Bevorzugung von Kindern aus einkommensstarken Elternhäusern entgegenwirken sollte. Wie sieht also eine faire Privatschulregulierung aus, die einen sozial gerechten Zugang zu allen Schulen gewährleistet? Vier Handlungsempfehlungen:

Obergrenze des Schulgeldes und einkommensabhängige Staffelung

In vielen Bundesländern erheben private Ersatzschulen Schulgelder, die sich etliche Eltern nicht leisten können. Ermäßigungen oder Befreiungen sind nicht vorgesehen. Eine Obergrenze für das durchschnittliche Schulgeld, das die jeweilige Einkommenssituation der Haushalte innerhalb eines Bundeslandes berücksichtigt, könnte das Sonderungsverbot des Grundgesetzes einhalten.

Das neue Privatschulgesetz von Baden-Württemberg sieht etwa die Begrenzung auf fünf Prozent des jeweiligen Haushaltsnettoeinkommens der Familie vor. Mit einer Begrenzung der Schulgeldeinnahmen kann zugleich der ökonomische Anreiz für private Schulen durchbrochen werden, ihr Angebot vor allem an Besserverdienenden auszurichten. Ebenso ist eine einkommensabhängige Staffelung des Schulgelds notwendig, um eine sozial gleiche Zugänglichkeit zu staatlich geförderten Privatschulen zu sichern.

Ausgleich für Ausfall von  Schulgeldeinnahmen

Verzichten private Ersatzschulen auf hohe Schulgeldeinnahmen und  / oder haben eine hohe Zahl von Schüler*innen aus einkommensschwachen Schichten, kann der Gesetzgeber einen Ausgleich für Schulgeldeinnahmen gewährleisten. Baden-Württemberg wird privaten Ersatzschulen, die kein Schulgeld erheben, eine höhere öffentliche Finanzierung zukommen lassen. Die Förderung ist auf 90 Prozent der entsprechenden Kosten an einer öffentlichen Schule begrenzt (Kappungsgrenze). Schulen, die weiterhin ein Schulgeld nehmen, haben einen begrenzten staatlichen Förderanspruch auf 80 Prozent. Eine staatliche Förderung sollte jedoch an die transparente Berichterstattung privater Schulen über ihre soziale Zusammensetzung gekoppelt sein.

Anrechnungsregelung bei auskömmlicher Finanzierung

Sind private Ersatzschulen auskömmlich finanziert, sollte die staatliche Förderung sofort enden. Dazu sollten die Gesetzgeber wie in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen Anrechnungs- oder Kappungsgrenzen definieren, damit private Ersatzschulen nicht unbegrenzt Einnahmen aus Schulgeldern und sonstigen verpflichtenden Elternbeiträgen auf staatliche Zuschüsse aufschlagen können. So können finanzielle Anreize außer Kraft gesetzt werden, weil staatlich geförderte Privatschulen keine höheren Einnahmen mehr erzielen, indem sie ihr Angebot spezifisch an einkommensstärkeren Schüler*innen ausrichten. Zudem werden damit Schulmodelle, die vor allem auf Exklusivität und Kinder besser verdienender Eltern setzen –
was nicht die Intention des Grundgesetzes zur staatlichen Förderung von Ersatzschulen ist – deutlich begrenzt.

Klare Regulierung und Kontrolle bei Wahrung der Freiheit

Maßnahmen wie Obergrenzen, Staffelung der Elternbeiträge, ein Ausgleich für entgangene Schulgeldeinnahmen und Kappungsgrenzen können die Vorgaben des Grundgesetzes erfüllen, ohne die pädagogischen und weltanschaulichen Freiheiten von staatlich geförderten Schulen unverhältnismäßig einzuschränken. Es ist notwendig, diese Vorgaben in der Praxis tatsächlich umzusetzen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Hierzu müssen die Bundesländer konkrete Vorgaben zur Schulgelderhebung und Aufnahmepraxis machen. Zudem müssten die zuständigen Aufsichtsbehörden die Vorgaben überprüfen. Angesichts der Höhe eingesetzter Steuergelder sollte das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, die in den meisten Bundesländern noch nicht der Realität entspricht.

Bundesländer müssen der sozialen Spaltung von Schulen entgegenwirken

Mit den vier genannten Handlungsempfehlungen ist es möglich, die Genehmigungsvoraussetzungen des Grundgesetzes und vor allem das Sonderungsverbot einzuhalten. Die Gesetzgeber und die Schulverwaltungen sind nun aufgefordert, diese Möglichkeiten anzugehen. Erste Beispiele aus Baden-Württemberg zeigen, dass die Gestaltung einer fairen Privatschul-regulierung möglich und praktisch umsetzbar ist. Andere Bundesländer sollten diesem Beispiel nun folgen. Nur dann wird es möglich sein, einer sozialen Spaltung zwischen öffentlichen und privaten Schulen entgegenzuwirken und den vom Grundgesetz geforderten gleichen Zugang zu Privatschulen „unabhängig von den Besitzverhältnissen der Eltern“ zu verwirklichen.

Prof. Dr. Rita Nikolai
Heisenberg-Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Humboldt-Universität Berlin

Michael Wrase
Professor für Öffentliches Recht an der Stiftung Universität Hildesheim

Fotos: kallejipp, YTK, Christoph Thorman / photocase.de

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