Start in den Lehrberuf: Doppelt qualifiziert für Inklusion

Im Gespräch mit Marcjanna Pulst

Marcjanna Pulst ist Lehrerin – und zwar eine mit Weitsicht, denn schon beim Einstieg in die Ausbildung hat sie Inklusion mitgedacht und Studium und Referendariat entsprechend ausgerichtet. Eigentlich sollten sich die Schulen jetzt um die 31-Jährige und ihr Wissen reißen, doch die Stellensuche gestaltet sich schwierig.

nds: Sie haben sich im Lehramtsstudium für eine besondere Fächerkombination entschieden. Wie genau sah sie aus?

Marcjanna Pulst: Für mich stand vor meinem Abitur fest, dass ich Lehrerin werden möchte. Das Fach Geschichte hatte es mir besonders angetan. Zur Zeit meiner Studienwahl wurde intensiv über Inklusion diskutiert, sodass ich mich früh für die Vorteile inklusiver Schulmodelle interessiert habe. Durch die Kombination beider Interessen wollte ich mich bestmöglich sowohl für fachliche als auch für inklusive Aufgaben in der Regelschule qualifizieren. Daher habe ich mich für ein Lehramtsstudium für Gymnasien/Gesamtschulen an der Universität zu Köln entschieden – und zwar nicht wie üblich mit zwei Fächern, sondern mit dem Fach Geschichte und dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation.

Wie verlief das Studium mit dieser eher unüblichen Fächerkombination?

Im Studium galten ich und wenige Kommiliton*innen mit einem Förderschwerpunkt statt eines zweiten Fachs als Exot*innen. Im sonderpädagogischen Teil des Studiums habe ich möglichst viele förderschwerpunktübergreifende Seminare und Vorlesungen belegt. Zudem habe ich mich intensiv mit dem Thema Inklusion und Bildungsgerechtigkeit auseinandergesetzt, um bestmöglich auf die inklusive Arbeit vorbereitet zu sein. Auch meine Examensarbeit hat sich empirisch mit der Inklusion an einer Gesamtschule beschäftigt.
Aufgrund meiner Fächerwahl war ich im Referendariat zwei Schulen zugeteilt: Meine Sekundarstufe-II-Ausbildung absolvierte ich in der gymnasialen Oberstufe eines Berufskollegs mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation – die Sekundarstufe-I-Ausbildung fand an einer Förderschule statt. Hierdurch bekam ich einen tiefen Einblick in zwei verschiedene Schulformen sowie in zielgleichen und zieldifferenten Unterricht für Schüler*innen mit unterschiedlichen Förderbedürfnissen. Ich hatte großes Glück, dass ich von meinen Schulen und Fachleiter*innen sehr gut unterstützt sowie fachlich und sonderpädagogisch qualifiziert wurde.

Aktuell sind Sie auf Stellensuche. Sind Sie zuversichtlich, eine Stelle zu finden, die zu Ihrem Profil passt?

Die Stellensuche gestaltet sich etwas schwierig. Vielen Schulen ist vermutlich nicht bewusst, dass es Lehrer*innen mit fach- und sonderpädagogischen Kompetenzen gibt – zumindest fehlen solche Ausschreibungen. Daher musste ich mich bislang entweder als Fachlehrerin oder als Sonderpädagogin bewerben.
Für das Fach Geschichte an Gymnasien, Gesamtschulen und Berufskollegs gibt es kaum offene Stellen. Umgekehrt besteht im sonderpädagogischen Bereich aktuell ein großer Bedarf. Dort kann ich aber nur in Vertretung eingestellt werden. So arbeite ich gegenwärtig vertretungsweise als Sonderpädagogin in den Förderschwerpunkten Lernen, Geistige sowie emotionale und soziale Entwicklung. Eine feste Stelle im Bereich Sonderpädagogik würde eine weitere umfangreiche Zusatzqualifikation gemäß der Verordnung zur berufsbegleitenden Ausbildung zum Erwerb des Lehramts für sonderpädagogische Förderung (VOBASOF) erfordern, die sich jedoch an Regelschullehrer *innen ohne sonderpädagogische Ausbildung richtet.
Grundsätzlich bin ich dennoch optimistisch, eine Festanstellung zu finden, da sich immer mehr Regelschulen der Inklusion öffnen. Für eine solche Schule wäre ich mit meiner doppelten Qualifikation für den Regelunterricht sowie für sonderpädagogische Aufgaben ein großer Gewinn. Auch meine Kompetenzen für die Gestaltung eines sprachsensiblen Regelunterrichts sind sicher von Vorteil.


Die Fragen für die nds stellte Anja Heifel.

Marcjanna Pulst
ist Lehramtsstudentin der Geschichte mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation an der Universität zu Köln

Illustration: PureSolution / shutterstock.com

 

Kommentar

Inklusion und die übliche Absurdität  

Eigentlich könnte es so schön sein: Da sind Kolleg*innen, die sowohl gymnasialen Fachunterricht erteilen können als auch eine fundierte Ausbildung im sonderpädagogischen Bereich mitbringen. Angesichts der allgemeinen Wehklage, es gebe nicht genug qualifizierte Kräfte für eine erfolgreiche Umsetzung der Inklusion, sollte sich jede Schule nach solchen „multiprofessionellen Teams“ die Finger lecken, aber Pustekuchen.  
Tatsächlich verhält es sich so: Weder Schulleiter*innen noch Bezirksregierung kennen die Fachkombination aus einem regulären Schulfach und einem sonderpädagogischen Schwerpunkt– studierbar an der Universität zu Köln –, sodass auch keine passenden Stellen ausgeschrieben werden. Dies allein ist aufgrund der unüblichen Kombination zunächst einmal nicht verwunderlich. Aber statt des roten Teppichs schlägt den betroffenen Kolleg*innen auch noch Unverständnis entgegen: „Ihren Studiengang dürfte es gar nicht geben.“ Diejenigen, die diese Fachkombination trotzdem an ihrer Schule haben wollen, bieten das VOBASOF-Verfahren an. Völlig absurd, denn die Bewerber*innen haben die entsprechende Qualifikation ja bereits erworben und müssten als VOBASOF-Kräfte auch noch finanzielle Einbußen hinnehmen. Das schulformspezifische Lehramt zeigt hier deutlich seine Schwächen – und wird der nordrhein-westfälischen Schul- und Lernlandschaft einfach nicht mehr gerecht.

Hanna Tuszynski
Personalrätin für Gymnasien und Weiterbildungskollegs bei der Bezirksregierung Düsseldorf

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