Gegen Rechts: Haltung zeigen im Klassenzimmer

Unterrichtsmaterial gegen Rechtsextremismus

Die Ausschreitungen in Chemnitz haben es deutlich gezeigt: Rechtes Gedankengut ist noch weit verbreitet in Deutschland. Doch wie gehen Lehrkräfte mit dem Thema im Unterricht um? Drei Praxisbeispiele zum Thema Rechtsextremismus.

Der Rechtsextremismus will das Rad der Geschichte zurückdrehen, zurück zu einem nationalistischen und demokratiefreien Führerstaat – auf der Basis einer rassistisch definierten Volksgemeinschaft. So hat es das Bundesamt für Verfassungsschutz 2015 beschrieben. Daher verharmlost oder rechtfertigt der aktuelle Rechtsextremismus die Verbrechen der Rechtsextremist*innen in der Zeit ihrer Herrschaft von 1933 bis 1945. Die rechtsextremistische Ideologie verachtet nicht nur die allgemeinen Menschenrechte und damit die Wertebasis einer liberalen Demokratie, sie leugnet auch die Gleichheit der Menschen hinsichtlich ihrer Würde und Rechte. Ihre rassistisch motivierte Hass- und Gewaltideologie gegenüber Geflüchteten, Menschen anderer Hautfarbe und Menschen muslimischer oder jüdischer Religion widerspricht dem Selbstbestimmungsgebot und dem Diskriminierungsverbot in unserem Grundgesetz und allen Menschenrechtserklärungen.
Alle Lehrkräfte sind gefordert, jede rechtsextremistische Haltung als menschenverachtend und menschenrechtswidrig zurückzuweisen. Im Unterricht sollten drei Kompetenzen angestrebt werden:

  1. Sich historisch und aktuell in die Opfer von Hass und rechter Gewalt einfühlen können und zu einer Haltung der Solidarität finden.
  2. Über eine kritische Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Hass- und Gewaltideologie eine menschenrechtsorientierte Überzeugung aufbauen oder weiter ausprägen.
  3. Sich aus demokratischer Überzeugung für die Menschenrechte und damit gegen den Rechtsextremismus engagieren.

Drei Praxisbeispiele zeigen, welche Aufbereitung des Themas für unterschiedliche Altersstufen möglich sind.


Politik und Musik // Klasse 8–9 – SAGE NEIN!

Der Unterrichtsentwurf umfasst drei bis vier Unterrichtsstunden und bezieht sich auf das Lied „Sage Nein!“ von Konstantin Wecker.
In der ersten Stunde schreibt die Lehrkraft „Sage Nein!“ an die Tafel und fordert die Schüler*innen auf, zu dieser Botschaft eine erlebte Situation in Vierergruppen als Plakat oder in Form einer Strophe eines Protestliedes zu entwerfen. Die Produktionen der Schüler*innen werden aufgehängt, erläutert und diskutiert. Im Anschluss hört die Klasse das Lied „Sage Nein!“ von Konstantin Wecker und vergleicht das Lied und ihre eigenen Entwürfe. Vertiefend interpretieren sie die erste Strophe des Liedes.
Die*der Lehrer*in erklärt die rechtsextremistische Gesinnung in ihren Ausprägungen Antisemitismus und Ausländer*innenfeindlichkeit.

  • Antisemitismus: Seit 1945 wurden in Deutschland mehr als 1.000 jüdische Friedhöfe geschändet. In vielen deutschen Städten müssen die Synagogen polizeilich gegen Anschläge geschützt werden.
  • Ausländer*innenfeindlichkeit: Typische Parolen der rechtsextremen Szene sind „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“. 2016 gab es laut Bundesinnenministerium 3.533 polizeilich erfasste Angriffe auf Geflüchtete und deren Unterkünfte.

Die Schüler*innen entwerfen in Gruppen eine weitere Strophe für das Lied „Sage Nein!“ Sie können zwischen den Themen „Gegen Antisemitismus“ und „Gegen Ausländer*innenfeindlichkeit“ wählen.

 

Deutsch und Geschichte // Klasse 9–10 – AUSCHWITZ

Der Unterrichtsentwurf umfasst ungefähr fünf bis sechs Unterrichtsstunden und bezieht sich auf die Geschichte des italienischen Juden und Auschwitz-Überlebenden Primo Levi.
Grundlage ist seine Autobiografie „Ist das ein Mensch?“ mit dem darin enthaltenen gleichnamigen Gedicht.

In der ersten Stunde wird der die Autobiografie in drei Schüler*innen-Vorträgen von jeweils 15 bis 20 Minuten präsentiert und anschließend diskutiert.

  • erster Vortrag: Verhaftung, Deportation, Ankunft in Auschwitz (S. 11–35)
  • zweiter Vortrag: Alltag in Auschwitz (S. 54–74)
  • dritter Vortrag: Letzte Wochen bis zur Befreiung durch russische Truppen (S. 143–165)

Die Lehrkraft zündet eine Kerze an – als Symbol für eine*n in Auschwitz ermordete*n Jüd*in und erklärt: „Eigentlich müsste ich sechs Millionen Kerzen anzünden, denn die Nazis haben sechs Millionen europäische Jüd*innen ermordet.“
Anschließend wird das Gedicht „Ist das ein Mensch?“ von Primo Levi ausgegeben und gelesen. Er hat es ein Jahr nach seiner Befreiung aus dem Todeslager Auschwitz geschrieben. Die Schüler*innen können ihre Gedanken und Gefühle zum Gedicht äußern. Zum Verständnis des Gedichts gibt die*der Lehrer*in Impulse: Welche Verse spielen in welcher Zeit? Warum sind 14 Zeilen eingerückt angeordnet? Warum trägt das Gedicht diesen Titel? Inwieweit sind die letzten drei Verse in besonderer Weise durch die Erlebnisse des Dichters in dem Vernichtungslager Auschwitz geprägt? Welche Botschaft richtet der Dichter an die heute und zukünftig lebenden Generationen? Die Schüler*innen nehmen Stellung zur Botschaft des Gedichts und können wählen: das Gedicht in einen Zeitungsartikel umschreiben, das Gedicht in eine Rede verwandeln oder zu dem Gedicht ein Poster entwerfen.
Die Lehrkraft informiert über aktuelle rechtsextreme Denkmuster wie Antisemitismus, verharmlosende Einschätzung des Nationalsozialismus und Ausländer*innenfeindlichkeit. Das  Meinungsforschungsinstitut USUMA aus Berlin führte 2014 im Auftrag der Universität Leipzig eine bundesweite und repräsentative Befragung zu rechtsextremistischen Einstellungen unter dem Titel „Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus“ durch: Die Zustimmung zu antisemitischen Äußerungen schwankte zwischen 10 und 11,6 Prozent; verharmlosende Äußerungen über die Verbrechen des NS-Staates fanden eine Zustimmung zwischen 7,8 und 9,3 Prozent; etwa ein Viertel der deutschen Bevölkerung stimmte ausländer*innenfeindlichen Aussagen voll und ganz oder überwiegend zu. Diese und andere Untersuchungen belegen, dass rechtsextremistische Denkmuster nicht auf den Rand der Gesellschaft beschränkt sind. Zugleich haben Hass und rechtsextrem motivierte Gewalttaten gegenüber Jüd*innen und jüdischen Einrichtungen sowie gegenüber Geflüchteten und deren Unterkünfte in den vergangenen Jahren in Deutschland deutlich zugenommen. Mindestens 10.500 Personen werden bereits im Verfassungsschutzbericht 2014 als gewaltbereite Rechtsextremist*innen eingeschätzt.
Zum Schluss entwerfen die Schüler*innen in der Rolle von Primo Levi eine zwei- bis dreimütige Rede, in der der Auschwitz-Überlebende Stellung nimmt zum aktuellen Rechtsextremismus in Deutschland. Mehrere Reden werden gehalten und von den anderen Schüler*innen unter der Fragestellung kommentiert, inwieweit die jeweilige Rede glaubwürdig und überzeugend war.

 

Religion, Werte und Normen und Politik // Klasse 7–8 – DAS MENSCHENRECHT RELIGIONSFREIHEIT

Der Unterrichtsentwurf umfasst drei Unterrichtsstunden und bezieht sich auf den Artikel in der Tageszeitung taz „Grüß Gott, Frau Nachbarin“ von Lara Janssen.
Die Schüler*innen tauschen spontan Meinungen zum Artikel aus. Anschließend arbeiten sie einzeln oder in Gruppen zu folgender Aufgabe: „Schreibt in der Rolle von Frau Miller einen inneren Monolog, der ihre Gedanken und Gefühle nach dem Hassausbruch dieses ihr unbekannten Mannes sichtbar macht.“ Viele Monologe werden vorgelesen und kurz diskutiert.
Die Lehrkraft ordnet den Vorfall ein in das rassistische Menschen- und Gesellschaftsbild des Rechtsextremismus und erinnert an das systematische Vorgehen der Nazis in der Diskriminierung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung ab 1933 und exemplarisch an die Pogromnacht im November 1938. Sie ergreift Partei für das liberale Verständnis einer Demokratie, die auf den Menschenrechten beruht.
Es folgen Impulse für ein weiteres Gespräch: Sollte Carolina Miller das Kopftuch als Zeichen ihrer Religion weiter tragen oder es ablegen, um sich zu schützen? Wie könnte das Ehepaar vor weiteren Angriffen geschützt werden? Wie können christlich geprägte Menschen ihre Solidarität zeigen? Was könnte politisch geschehen, um die Achtung der Menschenrechte in der Gesellschaft zu stärken und rechtsextremistische Überzeugungen zurückzudrängen?


Sabine Janssen
Lehrerin für die Fächer Deutsch, Politik und Sozialpädagogik, Schulleiterin am Diakonie-Kolleg Hannover

Foto: Jonathan Schöps / photocase.de

 

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