Im Gespräch mit Gelsenkirchens Oberbürgermeister: Mit Bildung zur Zukunftsstadt

GEW-aktiv 2017 in Gelsenkirchen: Im Gespräch mit Oberbürgermeister Frank Baranowski

Er ist gebürtiger Gelsenkirchener und schreibt von sich: „Vieles von dem, was ich bin, wäre ich nicht ohne diese Stadt.“ Seit 2004 ist Frank Baranowski Oberbürgermeister in Gelsenkirchen. In nur wenigen anderen Ruhrgebietsstädten sind die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen so groß wie dort. Doch die Stadt bewegt sich und daher hat die GEW NRW ihre Tagung GEW-aktiv in 2017 „Wandel is‘ immer“ genannt und ist ins Hans-Sachs-Haus gegangen. Der SPD-Politiker war zu Gast und beschreibt im Interview, wo die ehemalige Zechenstadt heute steht.

nds: Mit der Schließung der 40 Zechen in Gelsenkirchen hat sich das Stadtbild seit den 1960er Jahren stark gewandelt. Wie sehen Sie Ihre Stadt heute?

Frank Baranowski: Gelsenkirchen ist heute eine Stadt mit hohem Wohn- und Aufenthaltswert, modernen, digital vernetzten und logistisch gut erreichbaren Gewerbegebieten und einer modernen Bildungslandschaft. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel geschafft. Wir arbeiten ja schon länger daran, junge Menschen möglichst gut zu fördern – von Geburt an bis zum Eintritt in den Beruf. Entsprechend ist Gelsenkirchen völlig zu Recht zum Standort für das NRW-Talentzentrum geworden.
Unsere Aktivitäten aus der Stadterneuerung und aus der Bildungs- und Wirtschaftspolitik greifen ineinander. Etliche verstärken sich gegenseitig, manche entfalten erst mit der Zeit ihre Wirkung. Dabei arbeiten wir nicht für schnelle Erfolge, sondern für langfristige Effekte. Es geht mir um Nachhaltigkeit, nicht nur in der Klima- und Umweltpolitik.
Natürlich bleibt auch weiterhin eine Menge zu tun. Wir haben immer noch eine hohe Anzahl Langzeitarbeitslose, es fehlen nach wie vor Arbeitsplätze im einfachen Bereich. Unser schon weit fortgeschrittener Versuch, mit einem sozialen Arbeitsmarkt hier gezielt zu helfen, ist ja leider von der neuen Landesregierung verhindert worden, indem sie die bereits zugesagten Fördermittel gestoppt hat.

„Wandel is’ immer“ – so lautete das diesjährige Motto von GEW-aktiv. Wie verändern sich die Gelsenkirchener Bildungseinrichtungen, um Herausforderungen wie Inklusion, Migration und Digitalisierung gerecht zu werden?

Wir haben das Thema Digitalisierung bei Investitionen in unsere Bildungseinrichtungen sehr intensiv bearbeitet. Alle unsere Schulen verfügen über leistungsstarke Breitbandinternetanbindungen und moderne Whiteboards gehören in vielen Schulen schon zur Standardeinrichtung. Gleichzeitig investieren wir viel Geld, um unsere Schulen den Anforderungen der Inklusion anzupassen. Barrierefreiheit ist da nur eines der wichtigen Themen. Eine große Herausforderung ist derzeit Migration. Zuwanderung und Flucht haben uns so viele Schüler*innen beschert, dass wir dringend neue Räume und neues Lehrpersonal benötigen.
Wir stellen uns intensiv der Frage, wie die Stadt von morgen aussieht. Das tun wir zum Beispiel im Wettbewerb „Zukunftsstadt“, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgeschrieben hat. Der Wettbewerb hat das Ziel, gemeinsam mit Bürger*innen, Wissenschaftler*innen, Ratsvertreter*innen, Verwaltungsmitarbeiter*innen, Verbänden, Bildungseinrichtungen, Stiftungen und Unternehmen eine nachhaltige und ganzheitliche Vision 2030+ zu entwickeln.
Als „lernende Stadt“ will Gelsenkirchen aus bislang existierenden Bildungs- und Partizipationsmaßnahmen schöpfen und diese zu einem „Netz der Netzwerke“ zusammenführen. Ziel dabei ist, zukunftsorientierte Umsetzungsvorschläge in allen Bereichen des Lebens und der Stadtentwicklung zu entwerfen und die Zusammenarbeit in der Region anzuregen. Dabei werden Bildung und Partizipation, also das Mitwirken der Menschen an den Prozessen, als Schlüssel für die nachhaltige Stadtentwicklung gesehen.
Damit Gelsenkirchen zukunftsfähig sein kann, müssen wir auf Bildung der Bürger*innen setzen. Durch Partizipation lernen sie gleich doppelt: Es ist ein handelndes Lernen und vermittelt Gestaltungskompetenzen.
Wir sind jetzt bereits in der zweiten Phase des Wettbewerbs „Zukunftsstadt“. Insgesamt 20 Kommunen wurden von einer Jury aus Expert*innen ausgewählt, mit Bürger*innen und Wissenschaft ihre Ideen für eine lebenswerte und nachhaltige Stadt weiterzuentwickeln.
Damit haben wir in Gelsenkirchen wichtige Schritte in Richtung Bildung und Beteiligung getan. Jetzt, wo wir die zweite Stufe im Wettbewerb erreicht haben, werden wir weiter daran arbeiten können, den Zugang zu Bildung für jede*n zu vereinfachen und damit die Chancengerechtigkeit auszubauen.

Gelsenkirchen hat in den vergangenen Jahren viele Mini-Kitas mit maximal neun Kindern und zwei Betreuer*innen – nicht nur Erzieher*innen – eingerichtet. Wie hat sich dieses Konzept aus Ihrer Sicht bewährt?

Mini-Kitas sind gleichrangige Betreuungsangebote zu den Kitas. In familienähnlicher Atmosphäre werden Kinder in von GeKita angemieteten Räumen betreut. Die Eignungsprüfung und Qualifizierung der Tagespflegepersonen erfolgt ebenfalls durch GeKita. So garantieren wir einen hohen Standard. Die Kleinstgruppen eignen sich besonders für jüngere Kinder ab dem vierten Lebensmonat bis zum dritten Lebensjahr. Gleichzeitig stärken wir die Kooperation von Mini-Kitas und Kitas im Stadtteil. So können beispielsweise Feste gemeinsam gefeiert werden und auch die kindgerechten Außengelände und Gruppenräume der Kitas von den Mini-Kitas mitgenutzt werden.
Eltern erfahren frühzeitig etwas über die Kita oder Angebote eines Familienzentrums. Durch eine enge Zusammenarbeit lassen sich die Übergänge von der Mini-Kita zur Kita besser steuern, sodass möglichst keine Betreuungslücken entstehen. Gleichzeitig wollen wir den Bereich der Betreuung durch Kindertagespflege verstärken. Hier können gerade im U3-Bereich noch zusätzliche Plätze geschaffen werden.

Die Schulen ächzen unter dem Lehrer*innenmangel. Um den Bedarf zu decken, werden Lehrkräfte aus anderen Städten nach Gelsenkirchen abgeordnet. Wie schätzen Sie diese Entwicklung der regionalen Schullandschaft ein?

 Ich habe die Situation ja bereits erläutert. Wir haben derzeit sehr viel mehr Schüler*innen, als bei der bisherigen demografischen Entwicklung zu erwarten waren. Darauf müssen wir reagieren – und das tun wir auch. Nicht alles geht sofort. Aber ich bin davon überzeugt, dass es angesichts unserer Investitionen in Bildung sehr reizvoll ist, als Lehrer*in in Gelsenkirchen arbeiten zu können. Wir schaffen hier in den Bereichen, die wir beeinflussen können, gute Voraussetzungen.
Allerdings müssen das Land und insbesondere NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer noch intensiv nachsteuern. Zum Schuljahresanfang haben wir 83 Lehrer*innenstellen nicht besetzt. Die Stadt Gelsenkirchen hat ihre Hausaufgaben gemacht und viel Geld in Schulen und Ausstattung investiert. Wir haben die Digitalisierung vorangetrieben und alle Schulen sind an das schnelle Glasfasernetz angebunden. All das hilft aber nicht, unsere Abschluss- und Übergangsquoten zu verbessern, wenn der Unterricht wegen fehlenden Personals ausfällt oder auf Sparflamme läuft. Hier muss die Landesregierung schnell und nachhaltig verbessern.

Die Fachhochschule bringt viele junge Menschen in die Stadt. Trotzdem kritisieren Sie öffentlich, dass Gelsenkirchen keine Universität bekommen hat. Warum?

An der Westfälischen Hochschule wird hervorragende Arbeit geleistet und die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Insbesondere die technische Ausrichtung der Hochschule führt allerdings dazu, dass viele Studierende nie richtig in der Stadt ankommen.
Bei einer Universität sieht das etwas anders aus. Hier liegt der Schwerpunkt stärker auf der Forschung und das hat immer eine größere Ausstrahlung auf die Stadt. Um Universitäten entwickeln sich eher Gründerszenen, die wir gerade in Gelsenkirchen dringend benötigen.

Wenn Sie einen Wunsch für die Zukunft Ihrer Stadt frei hätten ... welcher wäre das?

Vollbeschäftigung! Wenn wir für jeden Menschen in der Stadt einen Arbeitsplatz hätten, würden wir in einem solchen Maße Transferleistungen sparen, dass wir in allen Bereichen investieren und unsere erfolgreiche Stadt voranbringen könnten.


Die Fragen für die nds stellte Jessica Küppers.

Fotos: Stadt Gelsenkirchen, Temaelkedial / photocase.de

 

Unter dem Motto „Wandel is‘ immer“

Gewerkschaft im Umbruch

Das Ruhrgebiet und die GEW NRW haben mindestens eins gemein: Beide stehen vor großen Herausforderungen und stoßen Umbrüche an. Gelsenkirchen als Stadt im Pott war nicht nur deshalb Gastgeber der diesjährigen Tagung GEW-aktiv mit 250 ehrenamtlich aktiven Gewerkschafter*innen. Gäste am 8. und 9. September 2017 waren unter anderem Frank Baranowski, Oberbürgermeister der Stadt, und Staatssekretär Mathias Richter in Vertretung von Schulministerin Yvonne Gebauer.
„Wir alle stehen vor der Herausforderung, geflüchteten und zugewanderten Kindern und Jugendlichen den Schritt in den Regelunterricht zu ermöglichen“, begrüßte Frank Baranowski die Kolleg*innen am Freitag im Hans-Sachs-Haus.  Josef Hülsdünker, DGB-Regionsgeschäftsführer Emscher-Lippe, ergänzte: „Sorgen wir gemeinsam dafür, dass alle Menschen ihre Chance zum Erwerb von maximal viel Bildungskapital erreichen können.“ Dem stehen allerdings auch nach dem Wechsel der NRW-Landesregierung die schlechte personelle und finanzielle Situation der Schulen, Kitas und Hochschulen und der Erwachsenenbildung gegenüber.
„Sie müssen ja erstmal die Lehrer*innen haben, die sie dann so bezahlen wie Sie sich das wünschen“, so Mathias Richter, dem der Lehrkräftemangel in NRW bereits aufgefallen sein dürfte. Über 2.000 Stellen wurden zum neuen Schuljahr nicht besetzt. „Wir brauchen in diversen Bereichen Änderungen“, mahnte Dorothea Schäfer und betonte, dass die GEW NRW am Ball bleiben wird.
So wie sich Städte wie Gelsenkirchen, die jährlich in den untersten Rängen verschiedener Städtestudien landen, auf den Weg in die Zukunft machen, möchte auch die GEW NRW einen Umbruch einleiten: Die Teilnehmer*innen der Workshops am Samstag haben dafür erste Schritte gemacht. Sie befassten sich mit internen Themen wie „Zeit für Veränderung? Präsenz in der Fläche – Stärkung der Geschäftsstellen – Kooperationen“ und mit Neumitgliederseminaren sowie mit politischen  Seminaren „Die GEW NRW in der Opposition? Die neue Landesregierung und die Bildungsgewerkschaft“ und mit neuen Strategien für Gute Arbeit an Hochschulen.

Sherin Krüger
Redaktion

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