Mit Engagement und Mut durch den Wandel

Schulstrukturveränderung

Mit dem Schulkonsens in 2011 hat sich die Schulstruktur in NRW verändert: Sekundarschulen werden neu gegründet, gleichzeitig werden Haupt- und Förderschulen geschlossen oder sind in ihrer Existenz bedroht. Diese Entwicklungen wirken sich auch auf den Alltag vieler SchulleiterInnen aus. Jean-Dirk Rathke, Schulleiter einer Förderschule, Michael Liß, ehemaliger Rektor einer Hauptschule, und Ulrich Vornholt, Leiter einer Sekundarschule, erzählen, vor welchen Herausforderungen sie in den Zeiten des Wandels stehen.

Förderschule Auguststraße in Köln: Abordnungen fair gestalten

In Zeiten, in denen Inklusion die Antwort auf viele pädagogische Fragen ist, sind viele Förderschulen in ihrer Existenz bedroht. Auch Jean-Dirk Rathke war an einer Schule, die wohl langfristig keinen Bestand haben wird: „Unser Schwerpunkt lag auf Lernschwierigkeiten, viele Kinder mit solchen ,Problemen’ gehen heute aber ins Gemeinsame Lernen. Da wird es auf Dauer schwer, die MindestschülerInnenzahl zu erreichen.“ Jean-Dirk Rathke sah keine Perspektive – wechselte an die Förderschule an der Auguststraße in Köln. „Hier haben wir mit dem Förderschwerpunkt Lernen und Emotionale-Soziale Entwicklung andere MindestschülerInnenzahlen und ich gehe davon aus, dass herausforderndes Verhalten von SchülerInnen andere Schulen weiter so beschäftigen wird, dass sie eine Alternative benötigen.“
Ein Thema, das Jean-Dirk Rathke als Schulleiter aktuell besonders umtreibt, ist die Abordnung von Lehrkräften: „Bei uns sind derzeit sechs Kolleginnen abgeordnet. Vom personellen Schlüssel passt das gut, extreme Vakanzen oder stark vergrößerte Klassen haben wir nicht. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die Welle der letzten Jahre, in der viele freiwillig in die Abordnung gingen, ihre Grenze erreicht. Für mich bedeutet das, dass ich im Falle einer von der Bezirksregierung vorgegebenen Abordnung jemanden bestimmen muss. Ist die- oder derjenige damit nicht einverstanden, ist das schon schwierig. Zwar kann jede und jeder Gründe benennen, die dagegen sprechen, und die letzte Entscheidung treffe nicht ich, sondern die Bezirksregierung – für die persönliche Ebene ist es trotzdem nicht angenehm.“ Und diese Situation wird sich voraussichtlich weiter zuspitzen: War es bislang so, dass die abgeordneten LehrerInnen an ihrer Stammschule angestellt waren und nach einem Schuljahr auf Wunsch auch dorthin zurückkehren konnten, gibt es seit zwei Jahren einen Erlass des Schulministeriums, der Übergangsfristen für Abordnungen in das Gemeinsame Lernen vorsieht. Bis zum Schuljahr 2017 / 2018 sollen solche Personalmaßnahmen nur noch durch Versetzungen realisiert werden. „Zwar wissen wir noch nicht, wie stringent das durchgesetzt wird – doch zeigt sich schon jetzt, dass viele Sorge vor einer falschen Entscheidung haben.“ Wie geht man als Schulleitung damit
um? „Der Schlüssel ist Transparenz“, meint Jean-Dirk Rathke. „Es gibt vorgegebene Kriterien, nach denen die Abordnung erfolgt – diese lege ich offen dar, sodass alle die Entscheidung nachvollziehen können.“
Neben den Herausforderungen rund um die Abordnung, sieht Jean-Dirk Rathke ein Problem der mangelnden Wertschätzung der Sonderpädagogik: „Alles dreht sich um Inklusion, aber der besondere Erfahrungs- und Wissensschatz der KollegInnen gerade im Hinblick auf SchülerInnen mit herausforderndem Verhalten wird noch zu wenig einbezogen – das erleben viele als Herabwürdigung ihrer Arbeit. Ich wünsche mir, dass ihre Expertise mehr nachgefragt und auch gewürdigt wird.“

Hauptschule Niederkassel: Motivation trotz Schließung erhalten

Mangelnde Wertschätzung ist ein Thema, mit dem sich auch Michael Liß – bis zu seiner Pensionierung im Sommer 2016 Schulleiter der Gemeinschaftshauptschule Niederkassel –
auseinandersetzen musste. Die Situation der Hauptschulen ist derzeit angesichts von Schulschließungen sowie geringer SchülerInnenzahlen alles andere als einfach. „Als ich vor neun Jahren an die Hauptschule kam, hatten wir 440 SchülerInnen – heute sind es knapp 150. Man sitzt auf einem sinkendem Schiff und kümmert sich um die Schließung der eigenen Schule.“ Angesichts dieser Situation steckten Michael Liß und sein Kollegium jedoch nicht den Kopf in den Sand, sondern signalisierten dem Schulträger, dass sich etwas ändern muss: „Es nützt ja nichts, wenn die Schule irgendwann nur noch einzügig ist und wir unseren Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen können. Das ist für alle unbefriedigend.“ Doch es dauerte, bis sich etwas tat: „Erst, als wir nur noch Anmeldezahlen für eine Klasse hatten, fiel der Startschuss für eine Umwälzung. 2015 wurde eine Gesamtschule gegründet – und damit standen weitere Herausforderungen an. Die neue Schule fand ihre Heimat im Gebäude der Hauptschule: „Zum Glück ist das bei uns gut und fair abgelaufen, wir standen ja hinter der Neugründung. Aber es gab auch Dinge, um die wir kämpfen mussten, zum Beispiel dass nicht nur die Räumlichkeiten der Gesamtschule renoviert und verschönert werden, sondern auch die der Hauptschule. Da muss man als Schulleiter energisch reagieren und klar machen, dass auch unsere SchülerInnen ein Recht darauf haben.“
Neben vielen organisatorischen Dingen besteht die wichtigste Aufgabe in den Augen von Michael Liß darin, das Kollegium weiterhin zu motivieren: „Es ist keine schöne Situation, wenn eine Schule immer kleiner wird – bei vielen Lehrkräften zeichnet sich da Frust über mangelnde Wertschätzung und fehlende Perspektiven ab. Doch alle SchülerInnen haben bis zu ihrem Abschluss den Anspruch auf qualifizierten Unterricht. Deswegen muss ich als Schulleiter so gut es geht für gute Stimmung sorgen und viele Gespräche führen, in denen man einfach zuhört.“ Michael Liß hat hier engagiert nach Lösungen gesucht – und sie gefunden: „Natürlich gibt es offiziell noch viele Aufgaben an der Schule. Da muss man Prioritäten setzen und manches auch mal warten lassen. Oft war es wichtiger, dass wir uns zusammensetzen oder zusammen wandern gehen, um die Stimmung zu verbessern.“ Und woher nimmt man selbst den Mut und die Motivation dafür? „Dass meine Pension bevorstand, war da natürlich ein Vorteil, denn wenn man schauen muss, wie es nach der Schließung mit einem selbst als Schulleiter weitergeht, agiert man sicherlich vorsichtiger. Doch auch dann muss in meinen Augen die positive Stimmung an erster Stelle stehen – um den unvermeidlichen Auflösungsprozess verantwortungsvoll und befriedigend für alle abschließen zu können.“

Sekundarschule Ahlen: Heterogenität meistern

Doch nicht nur die Schulleiter an Förder- und Hauptschulen stehen vor spezifischen Herausforderungen, auch Ulrich Vornholt – Leiter der 2012 gegründeten Sekundarschule Ahlen – sieht sich besonderen Aufgaben gegenüber: „Zunächst einmal mussten wir aus 70 KollegenInnen  ein Team bilden und als solches auch zusammenwachsen. Da alle von unterschiedlichen Schulformen wie Haupt- oder Realschule, aber auch durch Neueinstellungen zusammenkommen sind, war das schon einen kleine Herausforderung, die wir aber zum Glück gut gemeistert haben.“
Das Thema, das Ulrich Vornholt und sein Kollegium derzeit am meisten beschäftigt, ist die heterogene SchülerInnenschaft, die in der Sekundarschule gemeinsam lernt: 780 SchülerInnen besuchen die noch junge Schule. Sie alle haben von der Grundschule unterschiedliche Empfehlungen für weiterführende Schulen erhalten, über 70 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund. „Wir setzen die Klassen so zusammen, dass im Jahrgang 5 jede Klasse eine Art repräsentativen Querschnitt des ganzen Jahres darstellt. Folglich haben wir in allen Klassen Kinder mit Hautptschul- und Realschul-
empfehlungen, eingeschränkter Gymnasialempfehlung, in ganz seltenen Fällen auch eine Gymnasialempfehlung – und natürlich in jeder Klasse auch SchülerInnen mit pädagogischem Förderbedarf. Daraus ergibt sich eine sehr große Bandbreite von unterschiedlichen Begabungen, auf die wir individuell eingehen müssen. Da müssen wir manchmal noch nach Lösungen suchen, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden.“
Da die Schule noch sehr jung ist, gibt es im Alltag auch noch viele Querverbindungen zu anderen Schulen, zum Beispiel zu der Realschule, die Ulrich Vornholt bis zur Gründung der Sekundarschule geleitet hat: „Wir sind in einem Gebäude, nutzen dieselben Räumlichkeiten und die Ausstattung. Auch die Bewirtschaftung wird von uns gemeinsam verantwortet.“ Auch zu der noch bestehenden Hauptschule hält Ulrich Vornholt Kontakt: „Da geht es beispielsweise darum, SchülerInnen aufzunehmen, die in einer internationalen Vorbereitungsklasse gewesen sind. In solchen Fällen schließen wir uns kurz, ob die Sekundarschule für das ein oder andere Kind die richtige Schulform ist. In Anbetracht der Tatsache, dass die Haupt- und die Realschule noch eine Zeit lang bestehen, ist es an der Stelle einfach wichtig, dass wir gut zusammenarbeiten.“
Bei allen Herausforderungen, die die Gründung einer neuen Schulform mit sich bringt, sieht Ulrich Vornholt vor allem einen ganz entscheidenden Vorteil in der Sekundarschule: „Weil wir eine Schule für alle sind, ist Abschulung für unsere SchülerInnen kein Thema – das ist für alle Beteiligten eine große Entlastung.“

Denise Heidenreich, Freie Journalistin

Fotos: Patrick Naumann, View7 / photocase.de

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