Multiprofessionalität: Lust oder Last?

In Ganztagsschulen und inklusiven Schulen ist die alltägliche Kooperation von verschiedenen
ExpertInnen unumgänglich. Schließlich wurden hier Aufgaben verbunden, für die unterschiedlich
ausgebildete Fachleute zuständig sind. Deren spezielle Kompetenzen gilt es im neuen Setting
so zu verknüpfen, dass daraus Synergieeffekte entstehen. Um den Anforderungen der neuen
Konzepte gerecht zu werden, reicht aber eine additive Zusammenarbeit mehrerer Professionen
nicht aus. Vielmehr sollen gemeinsam neue, breiter fundierte und dadurch bessere Lösungen für
die anstehenden Herausforderungen entwickelt werden.

Komplexe Aufgaben, komplexe Kooperation

In Bildungseinrichtungen kooperieren heute LehrerInnen, pädagogische Fachkräfte und
PsychologInnen innerhalb von Teamstrukturen, mit zahlreichen Schnittstellen. Neben schulfachbezogenen
Teams kümmern sich andere Teams um Querschnittsangelegenheiten. Insbesondere
für die Lösung komplexer Aufgaben, für die verschiedene Fachsichten hilfreich sind, verspricht eine
mehrperspektivische Herangehensweise mehr Erfolg. So ergibt es Sinn, dass zum Beispiel SonderpädagogInnen sowohl in Fachteams als auch in Teams mit Querschnittsaufgaben mitarbeiten.
Schade, dass sie sich nicht klonen können. Denn neben der Kooperation in den Teams gibt es ja
auch noch die Hauptaufgabe: die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen.
Einigkeit herrscht in der Fachliteratur über die hauptsächlichen Schwierigkeiten der Zusammenarbeit:
Es gibt zu wenig Möglichkeiten für fachlich-inhaltlichen Austausch. In der Folge entstehen
Missverständnisse aufgrund unterschiedlicher Ziele, Erwartungen oder Fallinterpretationen. Die
Fachgrenzen scheinen jedoch in der Realität nicht das Haupthindernis für eine gute Kooperation
zu sein. Eine Klärung der gemeinsamen Ziele, der gegenseitigen Erwartungen, Offenheit und
Wertschätzung für die Sichtweisen der Anderen schaffen Reflexionsanlässe als Voraussetzung
für zu entwickelnde neue Lösungen. Probleme werden vor allem durch zu geringe oder fehlangepasste
Ressourcenzuweisung, mangelnde Beweglichkeit der Organisation – wie zu wenige
überschneidungsfreie Zeitfenster für die Teams – sowie geringe Kooperationsbereitschaft und zu
wenig persönliche Flexibilität erzeugt.

Eine Anstrengung, die sich lohnt

Multiprofessionelle Zusammenarbeit ist auf personelle Ressourcen angewiesen, die zu den
Aufgaben passen. Das heißt, dass die in vormaligen Settings vorhandenen personellen Ressourcen
in die neue Organisationsform einfließen müssen. Zusätzlich wird Kooperationszeit benötigt,
die mit der Vielzahl der Teambeteiligungen ansteigt. Auch bei ausreichender Zuweisung von
Personalressourcen kommen auf die Leitung der Bildungseinrichtung hohe organisatorische
Anforderungen zu, um die optimalen Lösungen zu erreichen. Rollen und Aufgaben sowie Modi
der Teamsitzungen müssen in den Teams selbst geklärt werden, aber zur Entlastung der Teams
sind auf Einrichtungsebene definierte Rahmen hilfreich.
Die Erarbeitung gemeinsamer Werte sowie eine Ausgewogenheit von Autonomie und gemeinsamer
Verantwortung tragen zur Entwicklung einer Kooperationskultur der Bildungseinrichtung
bei. Vor diesem Hintergrund ist eine steigende Kooperationsbereitschaft auch der SkeptikerInnen
zu erwarten. Wenn es gelingt, eine Kooperationskultur zu entwickeln, wachsen junge KollegInnen
in ein Umfeld ohne EinzelkämpferInnentum hinein. Persönliche Vorbehalte und mangelnde
Kooperationserfahrung lassen sich nicht in der Zurückgezogenheit überwinden. Sinnvoll sind
gemeinsame, die professionellen Grenzen überschreitende Weiterbildung sowie individuelle und
teambezogene Professionalisierungsmöglichkeiten, zum Beispiel Supervision. Und letztlich zahlt
sich die Arbeit im Team aus: Denn angesichts der hohen Ansprüche an die Bildungseinrichtungen
ist es eine große Erleichterung, wenn Verantwortung im Team geteilt wird.

Prof. Dr. Ursula Carle
Professorin für Elementarund Grundschulpädagogik an der Universität Bremen im Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften

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