Ein Netzwerk für die Kinder

Multiprofessionelle Teams an Grundschulen

Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Dieses alte afrikanische Sprichwort lässt sich sinngemäß auf die Praxis in der Grundschule übertragen: Jede Schule braucht ein multiprofessionelles Team, um alle Kinder individuell fördern zu können.

Schon lange ist bekannt, dass Kinder bei ihrer Einschulung einen Entwicklungsunterschied von bis zu drei Jahren haben. In Zeiten der Inklusion und der Zuwanderung aus vielen Ländern hat die Heterogenität gerade in der Schuleingangsphase noch weiter zugenommen. Nach dem Schulgesetz sind Grundschulen zur individuellen Förderung jedes Kindes verpflichtet, wobei sich der Bildungs- und Erziehungsauftrag nicht nur auf die Wissensvermittlung und das schulische Lernen beschränkt, sondern die vielfältigen und individuell unterschiedlichen Unterstützungs- und Hilfebedarfe jedes einzelnen Kindes umfasst. So sind die Lehrkräfte besonders gefordert, die unterschiedlichen familiären, sozialen, kulturellen, entwicklungspsychologischen und gesundheitlichen Besonderheiten in ihrem Unterricht zu berücksichtigen.

Personelle Grundausstattung für multiprofessionelle Teams

Dies geht nicht mehr allein. Dazu brauchen GrundschullehrerInnen die Unterstützung multiprofessioneller Teams. Diese Teams werden nicht für jede Schule gleich aussehen, aber es gibt eine „Grundausstattung“: Grundschullehrkräfte, SonderpädagogInnen, SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen. Die weiteren Teammitglieder hängen von der Zusammensetzung der SchülerInnen und der Klassen ab. Alle arbeiten in enger Abstimmung und mit dem jeweils anderen Blick auf das Kind und die Familie, wobei unbestritten ist, dass die erforderliche Förderung frühestmöglich erfolgen muss.
Die Aufgaben der GrundschullehrerInnen in diesen Teams sind vielfältig: Unter anderem sind sie ModeratorInnen, FachlehrerInnen, KlassenlehrerInnen, AnsprechpartnerInnen für die Eltern, verantwortlich für den Unterricht, aber auch für die Förderung.
Die SozialpädagogInnen begleiten den Übergang von der Kita in die Grundschule mit einem besonderen Blick auf die entwicklungsverzögerten Kinder. Diese müssen teilweise basale Grundtechniken noch lernen, können sich nur über einen kurzen Zeitraum konzentrieren, haben noch Probleme im sprachlichen Ausdruck, können sich nur schwer auf die große Gruppe der Kinder einlassen und müssen das Lernen noch lernen. Hier ist auch die enge Zusammenarbeit mit den SonderpädagogInnen gefordert, die mit ihrer Expertise allerdings in allen Jahrgängen gebraucht werden – im Unterricht, in der Beratung, bei der Erstellung und Umsetzung der Förderpläne. Dies betrifft nicht nur Kinder mit Lern- und Entwicklungsstörungen (LES), bei denen eine gute Diagnose ohne AO-SF-Verfahren Grundlage für die Unterstützung ist, sondern auch Kinder mit anderem sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf.
Die SozialarbeiterInnen sind verstärkt im Rahmen des Bildungs- und Teilhabeprojekts in die Schulen gekommen und schon jetzt nicht mehr wegzudenken. Es ist kaum vorstellbar, wie es ohne sie gegangen ist. Sie sind MittlerInnen zwischen Schule, Jugendamt, JobCenter, Sozialamt und immer eine neutrale Ansprechperson für viele familiäre Probleme, in Krisensituationen und bei schulischen Konflikten. Sie sind AnwältInnen der Kinder und können durch eigene Angebote für die Kinder gerade im sozialen Lernen, in Elterngesprächen und durch das Agieren außerhalb der schulischen Richtlinien viele problematische Situationen entschärfen oder helfen diese zu klären.

Komplexe Aufgaben erfordern zusätzliche Kompetenzen

Multiprofessionelle Teams können aber nicht auf diese vier Berufsgruppen beschränkt bleiben. Schulen brauchen  Netzwerke mit dem Ziel, ein integriertes Unterstützungssystem auch im Hinblick auf psychosoziale Beratungsverfahren und integrative Hilfeverfahren aufzubauen und wirksam werden zu lassen. Dazu gehören auch:

  • Medizinische Fachkräfte, denn immer mehr Kinder müssen medikamentös versorgt werden oder brauchen eine besondere pflegerische Unterstützung. Dies kann nicht von den LehrerInnen übernommen und verantwortet werden.
  • IntegrationshelferInnen für die individuelle Hilfe und Unterstützung im schulischen Alltag für Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf.
  • KinderpsychologInnen zur Hilfe für die Kinder, die durch unterschiedliche Verhaltensauffälligkeiten, Aggression, Gewalt oder auch große Verschlossenheit keinen Zugang zu einer erfolgreichen Schullaufbahn finden.
  • TherapeutInnen, die mit ihrer jeweiligen Expertise Kindern gezielt helfen können, ihre Stolpersteine auf dem Weg zu einem erfolgreichen Lernen beiseite zu räumen.
  • Lehrkräfte für herkunftssprachlichen Unterricht, denn gerade zugewanderte Kinder können über den Unterricht in ihrer Muttersprache einen Weg finden, die deutsche Sprache schneller zu lernen und die Integration zu schaffen.
  • DolmetscherInnen, denn nur über sie ist es oft möglich, den Eltern zugewanderter SchülerInnen die Anforderungen der Schule und die Leistungen der Kinder zu erklären.
  • Fachleute aus den kommunalen Verwaltungen, etwa vom Jugend- oder Sozialamt, die den Familien und den Kindern zum Beispiel Hilfen zur Erziehung vermitteln, Präventions-angebote machen und in Fragen der Kindeswohlgefährdung eingreifen.

Auch die OGS gehört zum Team

Für viele Kinder in den Grundschulen ist Schule aber nicht nur Unterricht, sondern sie verbringen sehr viel mehr Zeit dort: Über 40 Prozent der SchülerInnen besuchen Offene Ganztagsschulen (OGS). Diese sind personell schlechter ausgestattet als die früher bestehenden Horte, haben aber vielfach deren Funktion übernommen. Die OGS-MitarbeiterInnen müssen in das Netzwerk der Grundschulen eingebunden werden, denn sie arbeiten mit denselbsen Kindern und brauchen ebenso Unterstützung für ihre Arbeit. Oft zeigen sich am Nachmittag in der OGS die Probleme der Kinder auf ganz andere Weise als am Morgen in der Schule. Die andere Struktur des Zusammenseins gibt den Kindern Freiräume, die sie im positiven wie negativen Sinn nutzen. Hier müssen Maßnahmen abgesprochen, aber auch ganz praktische Unterstützungen organisiert werden. Im Rahmen der Inklusion dürfen keine Kinder wegen fehlender personeller Unterstützung von der OGS ausgeschlossen werden.

Multiprofessionalität muss Standard werden

Multiprofessionelle Teams scheitern leider oft am Geld, aber auch an den verschiedenen Zuständigkeiten, zum Beispiel von Land und Kommune. Wo sie in Ansätzen funktionieren, zeigt sich jedoch deutlich, wie die unterschiedlichen Startbedingungen der Kinder positiv verändert werden können. NRW gibt im Vergleich zu den anderen Bundesländern deutlich weniger Geld pro GrundschülerIn aus. Dies wird sich rächen.
Die erforderliche personelle Grundausstattung durch das Land ist leider nur in ganz wenigen Schulen vorhanden: Für die 2.800 Grundschulen in NRW gibt es zurzeit nur 593 Stellen für SozialpädagogInnen in der Schuleingangsphase, 2.111 Stellen für SonderpädagogInnen im Bereich der Lern- und Entwicklungsstörungen, und nur für weniger als die Hälfte der Grundschulen SozialarbeiterInnen. Dazu kommt der Mangel an Grundschullehrkräften (s. Seite 27). Trotzdem: Für die Koordination des Netzwerks, die Teamabsprachen, die vielen Gespräche brauchen die Lehrkräfte Zeit. Ohne eine deutliche Ausweitung der bisher sehr geringen Anrechnungsstunden wird es nicht funktionieren.
Auch die Kommunen können wegen der angespannten Haushaltslage nicht immer die erforderlichen Mittel bereitstellen. Multiprofessionelle Teams in der Grundschule sind eine Chance für alle Kinder, einen guten Start für eine erfolgreiche Schullaufbahn mit einer individuellen Förderung zu erhalten. Erste Ansätze für diesen Weg sind geschaffen, aber es liegen noch viele Steine im Weg.

Rixa Borns
Leitungsteam der Fachgruppe Grundschule der GEW NRW

Foto: James Thew / photocase.de

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