An den Kindern orientieren

Multiprofessionalität und Teambildung

Das Einzelkämpferdasein im Lehrberuf gehört der Vergangenheit an. Über die Notwendigkeit zu multiprofessioneller Teamarbeit im Bildungsbereich besteht weitgehend Konsens. Immer mehr Berufsgruppen finden sich in Schule wieder. Die Zusammenarbeit von Menschen mit diesen unterschiedlichen Professionalisierungen bedarf gewachsener und koordinierter Teamstrukturen. Dies gilt im besonderen Maße für inklusive Kontexte.

Zahlreiche Veränderungen haben sich im Laufe der Jahre ergeben. Die Arbeit in Kitas, in der frühkindlichen Betreuung und Bildung, ist deutlich komplexer geworden: familien-
ergänzende Erziehung, Beobachtung, Dokumentation, Sprachstandserfassung, Elternarbeit, Netzwerkarbeit. Und durch die Zertifizierung zum Familienzentrum sind in der Kölner Kita die Fel-der Familienbildung, Familien- und Erziehungs-beratung, Organisation von Kleinstkindgruppen mit Bereitstellung von Räumen und vieles mehr hinzugekommen.
Immer wichtig war und ist die Zusammen-arbeit im Team und mit der Leitung. Dabei ist es eine Bereicherung, Fragen und Probleme aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachten zu können und so gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.

Multiprofessionalität in der Inklusion

Integrative Kita bedeutet gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderung. Mit Einführung der Inklusion ist die Bezeichnung „integrativ“ jedoch weggefallen. Die gemeinsame Betreuung ist seit 2014 in allen Kitas möglich. Eltern können die Kita auch für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf frei wählen. Die Feststellung des erhöhten Förderbedarfs übernimmt der kinder- und jugendärztliche Dienst im Gesundheitsamt. Dort wird das entsprechende Gutachten erstellt.
Die Inklusion stellt viele KollegInnen vor ganz neue Herausforderungen, da sie die Arbeit mit Kindern mit erhöhtem Förderbedarf oder einer komplexen Behinderung nicht kennen. Dabei sind Kinder mit dem Förderschwerpunkt Emotionale-soziale Entwicklung oder Sprache nicht einbezogen, denn sie gehören schon seit Langem in allen Kitas in NRW zum Arbeitsalltag der ErzieherInnen.

Von alltagsintegrierter Therapie profitieren

Ein multiprofessionelles Team in der Kita kann sich zusammensetzen aus ErzieherInnen, HeilerziehungspflegerInnen, KinderpflegerInnen, HeilpädagogInnen, PhysiotherapeutInnen, MotopädInnen, LogopädInnen, SozialpädagogInnen und KindheitspädagogInnen. Neben der kolle-gialen Beratung – das heißt der Hilfestellung bei Fragen zur Entwicklung einzelner Kinder durch „neutrale“ KollegInnen aus anderen Gruppen –
ist es ein großer Vorteil, wenn auch der Rat von TherapeutInnen eingeholt werden kann. Auch wenn das entsprechende Kind offiziell keine Eingliederungshilfe bekommt und demnach keinen Förderplatz hat.
Im Rahmen der Inklusion, in der Kinder mit erhöhtem Förderbedarf in allen Kitas wohnortnah betreut werden können, fällt dieser Vorteil für viele KollegInnen allerdings weg, da TherapeutInnen – zumindest vorerst – eben nicht flächendeckend in allen Kitas als fester Bestandteil des Teams arbeiten. Von alltagsintegrierter Therapie aber profitieren alle Kinder in einer integrativen Gruppe. Vor allem Kinder mit Förderbedarf, da die TherapeutInnen sie in ihrem Kita-Alltag erleben und im Umgang mit anderen Kindern, statt in isolierten Therapiesituationen.
Auch die Umsetzung therapeutischer Ansätze im Alltag und die Anleitung der pädagogischen Fachkräfte gemeinsam in der Gruppe haben sich bewährt. Durch die Umstrukturierungen wird diese Zusammenarbeit sicher geschwächt. TherapeutInnen werden nun nicht mehr stetig in den Gruppen mitarbeiten können, da der Arbeits- und Abrechnungsmodus verändert wurde – zum Beispiel mit der Abrechnung über kinderärztliche Verordnungen. Wie der Einsatz der KollegInnen in Zukunft in Kitas mit nur noch wenigen Kindern mit Förderbedarf geregelt wird, ist bisher unklar. Sie könnten wie SonderpädagogInnen an Schulen in mehreren Kitas eingesetzt werden oder es werden Schwerpunkteinrichtungen gebildet. Die Teamarbeit zu fordern und zu fördern, muss Ziel beider Möglichkeiten sein.

Multiprofessionalität intern und extern

Multiprofessionelles Arbeiten bezieht sich im Bereich der Kita aber nicht nur auf das Team vor Ort in der Einrichtung. Die Zusammenarbeit mit externen KollegInnen wird ausgebaut – zum Beispiel mit KursreferentInnen im Familienzentrum. Durch diese Kooperation können persönliche Familien- und Erziehungsberatung direkt in der Kita angeboten werden und mit Einverständnis der Eltern sind ErzieherInnen der Kita bei den Gesprächen anwesend. Für die Zusammenarbeit mit den Eltern bei auftretenden Schwierigkeiten ist das eine große Hilfe.
Weiterhin bietet die Arbeit im Netzwerk mit Schulen, KinderärztInnen, Stadtteilvereinen und bei Bedarf mit Jugendämtern, Kinderzentren, Frühförderzentren, Autismuszentren und Sozialpädiatrischen Zentren die Möglichkeit, Eltern auf Hilfsangebote hinzuweisen, diese zu vermitteln beziehungsweise Gespräche auf „neutralem Boden“ anzubieten. Ernährungs-beratung, Schuldnerberatung, Workshops, Yoga für Eltern und Kinder, Erste-Hilfe-Kurse – das sind alles Angebote, die durch gute Kontakte in vielfältigen Bereichen von Kindertagesstätten in Kooperation und Zusammenarbeit ermöglicht werden können. In der Kölner Kita liegt der Fokus aktuell beispielsweise auf Deutschkursen für fremdsprachige Eltern.

An den Kindern orientieren

Geflüchtete Eltern und ihre Kinder unterstützen

Die Anzahl der Kinder geflüchteter Eltern ist in den vergangenen eineinhalb Jahren auch in den nordrhein-westfälischen Kitas stetig gestiegen. Sprachprobleme lösen die betroffenen Kinder durch andere Arten der Kommunikation und schnelles Lernen. Es sind die Eltern, die vorwiegend Unterstützung bei der Sprach-erlernung benötigen. In dieser Situation ist die Zusammenarbeit mit den verschiedensten Stellen erforderlich: Um eine gute Förderung zu gewährleisten, sind DolmetscherInnen fast unverzichtbar geworden. Sie nehmen unter anderem an Entwicklungsgesprächen teil und sorgen für eine eindeutige Verständigung.
Beim Ausfüllen diverser Formulare und Anträge, bei Rücksprachen mit KinderärztInnen und Informationen zum Transport zur Kita – bei Kindern mit Traumata oder einer schweren Behinderung ist der Einsatz des multiprofessionellen Kita-Teams oft gefragt. Bei der besonderen Problematik sind ErzieherInnen noch stärker auf Austausch angewiesen.

Mehr Personal und Unterstützung gefordert

Es führt kein Weg daran vorbei: Der sehr komplexe Arbeitsauftrag kann zur Überforderung werden. ErzieherInnen nehmen ihre Arbeit ernst und versuchen oft zu viele Aufgaben parallel zu erledigen. Mit einem Team aus verschiedenen Berufsgruppen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Herangehensweisen, aber mit dem gleichen Ziel – nämlich frühkindliche Bildung auf die Bedürfnisse der Kinder abzustimmen – ist viel eher gewährleistet, dass sich niemand festfährt. Ausreichend Personal ist dabei nicht immer vorhanden, aber wenn die Zusammensetzung des multiprofessionellen Teams stimmt, kann mit Sicherheit vieles aufgefangen und einfacher werden.
Die Kinder stehen an erster Stelle, doch das wachsende Aufgabenspektrum darüber hinaus muss bewältigt werden. In vielen Situationen wäre es daher hilfreich, wenn im Kita-Alltag Personal zur Verfügung stünde, das die anfallenden Telefonate führt, die Tür für die Eltern öffnet, den HandwerkerInnen ihren Einsatzort zeigt, die Rechnungen bearbeitet und abheftet, Krankmeldungen weiterleitet, Einkaufslisten und Bestellungen schreibt. Sicher, jede Kita hat eine Leitung. Doch eine Einrichtung wie jene in Köln mit bald über 100 Kindern und  20 MitarbeiterInnen erfordert eine Menge Zeit für Aufnahmegespräche, Elternbesichtigungen, Statistiken, Dienstpläne, Mitarbeiter- und Konfliktgespräche und vieles mehr. Also übernehmen eben auch die ErzieherInnen häufig die Telefonate, das Türöffnen, die HandwerkerInnen. Da wird der Wunsch nach einem Sekretariat und einer stellvertretenden Leitung immer lauter. Und wenn es dann wirklich einmal zu viel wird? Ein Coaching oder eine psychologische Beratung für MitarbeiterInnen kann vieles auffangen.

Fruchtbare Arbeit durch Austausch und Vernetzung

Ein gut ausgebildetes, vielfältig zusammengesetztes Team profitiert voneinander, unterstützt und motiviert sich gegenseitig und bildet damit die Basis für eine produktive Arbeit, die sich an den Kindern orientieren kann und die beste Betreuung für sie bietet.
In kleinen Einrichtungen ist es ungleich schwerer, ein multiprofessionelles Team zusammenzustellen. Dort sind ein einrichtungsübergreifender Austausch und eine gute Vernetzung wichtige Voraussetzungen für eine fruchtbare Arbeit, bei der weder Kinder noch MitarbeiterInnen auf der Strecke bleiben.

Birgit Horbach
Heilerziehungspflegerin in einer Kölner Kita mit Familienzentrum in einer Gruppe mit zehn Kindern mit Regel- und fünf Kindern mit Förderbedarf  

Fotos: Kadmy, chalabala / fotolia.com

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