Beamt*innenstreik: Der Traum von einer Rosinenrepublik

Notat zum Streikverbot für Beamt*innen

Es war kein guter Tag für die Demokratie und die Europäische Menschenrechtskonvention. Der 12. Juni 2018 wird in die Rechtsgeschichte eingehen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Verfassungsbeschwerden der GEW gegen das Beamt*innenstreikverbot abgelehnt.

Wir sind diesen Weg gegangen. Wir sind weit gegangen, zu weit für das konservative Denken, das in den Kategorien des letzten Jahrhunderts verwoben ist. Und sie haben es uns aufgeschrieben. Ja, Mühe haben sie sich gemacht. Große, schwere, hoheitliche Worte. Sie lauten: „traditionelles Element der deutschen
Staatsarchitektur“. Wir hören, wie sie der Gerichtspräsident in roter (!) Robe vorliest, ruhig, Kraft in der Stimme. Wir sind tief drin in der Staatstheorie, in der Rechtsphilosophie, in den Grundmauern dieser transparenten Festung. Der Blick schweift nach draußen, zum nahen Karlsruher Schloss, wo eine rote (!) Fahne vom Turm weht. Wer hat sie hochgezogen? Ein Spaßvogel? Ein Philosoph? Ein stiller Denker? Oder die PR-Abteilung?

Staatsräson gewahrt

Wir, die Verwegenen, die in Karlsruhe, zwischen viel Glas und wenig Beton und Stahl – ja, es ist ein Kind der Nachkriegszeit, Durchsichtigkeit versprechend, verheißend – versuchen, unsere mentale Fahne hochzuhalten für die vornehmen Rechte auf Einmischung, Debatte und Streik. Mutig sind die Mitglieder, die klagen, die sich dem Goliath namens „hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums“ stellen. Verwegene sind wir, aber nicht Überraschte. Geahnt haben wir es, denn wer die dicken Bücher der Urteilssammlungen studiert, bekommt ein Vorgefühl des Denkens in anderen Kategorien. Sie haben ihren Job gemacht. Die Staatsräson ist gewahrt.
Man darf applaudieren. Wir sitzen und hören, den hölzernen Bundesadler, der über dem Richter*innenchor wacht, immer fest im Blick. Was er wohl denken mag? Er sieht uns, die Fassung wahren, die Worte ertragen. Die fröhlichen Gesichter, rechts von ihm, unten, in den ersten Reihen. Sie haben Recht bekommen und brauchten nicht einmal darum zu zittern. Das wohlige Gefühl der Gewissheit. Die Fundamente der Staatsarchitektur.
Irgendwie mitgenommen sieht der Adler trotzdem aus. Was hat er hier erlebt? Höhen und Tiefen. Untiefen und Irrwege. Notstandsgesetze und das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschland, das Spiegel-Urteil und die Volkszählung. Siege für die Meinungsfreiheit: Literatur gegen die Bundeswehr, Kurt Tucholsky gegen den Soldatenehrenschutz. Niederlagen für die Tarifautonomie. Glücksmomente aber auch, das Recht auf Mitgliederwerbung im Betrieb.
In unsere Ohren dringt das Wort von Rosinenpickerei. „Mit dem freiwilligen Eintritt in den Beamtenstatus gehe das Verbot des ‚Rosinenpickens‘ einher.“ So hören wir. Gilt dies für freiwillige Taten in unserem Leben? Wer freiwillig etwas macht, verzichtet? Auf was, auf die Süße, auf das Getrocknete? Arme Rosinen. Wenn wir Arbeitsverträge schließen, wenn wir ein Buch bestellen, wenn wir heiraten, wenn wir die
Ernennungsurkunde bekommen? Verzichten wir dann auf die Rosinen? Wir hörten diese Worte schon einmal, die sich jetzt im dicken Papier der Urteilsbegründung widerspiegeln. Von einem Innenminister, nicht mehr im Amt. Noch im Januar schrieb er uns ins Stammbuch und diktierte den Mikrofonen und Kameras: „Rosinenpickerei kann es nicht geben”, sagte ein strenger Thomas de Maizière. Dieses Unwort. Es beschreibt eine Unwirklichkeit. Ist eine Polemik gegen uns. Leicht zu merken. Viele nicken und sagen „Ja“. Was wir aber auch wieder so alles wollen würden. Nimmersatt. Beides, den wohligen, warmen Beamt*innenrock und die Streikfahne? Nein, diese Stoffe passen nicht zueinander, wird uns zu verstehen gegeben. Wir wollen zu viel. Es wird geklatscht in den Debatten. Wir müssen uns rechtfertigen für unsere Forderung nach einem Grundrecht.

Die Forderung? Echte Teilhabe!

Armes Streikrecht. Es wird als Zuckerersatzstoff gewährt? Als Alternative angeboten? Welche Sorglosigkeit, welche Absicht, das hohe Recht des Streiks als Rosine zu diffamieren. Buchstaben, Schlagworte. Totschlagargumente. Ja, wir haben es schriftlich bekommen. Die Quittung für das Neudenken. Die Idee, mehr Demokratie, mehr echte Teilhabe einzufordern, sich zu engagieren, zu beteiligen, zu streiken – dies trägt unser Auftreten. Der Anspruch, Wirklichkeit zu verändern, zu verbessern, bleibt richtig – dies ist unsere DNA. Hier wurde unserem Anliegen keine Abhilfe verschafft. Wir müssen den Mut bewahren und Dinge zu Ende denken und bringen.
Und den Traum nicht aufgeben: von einer Rosinenrepublik.


Daniel Merbitz
Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der GEW, Leiter Tarif- und Beamtenpolitik

Foto: iStock.com / LuismiCSS

0 Comments
Kommentieren
Die mit (*) gekennzeichneten Felder sind Pflichtfelder.

Kommentare (0)

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Lassen Sie es uns wissen. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!
24
Ihre Meinung? Jetzt kommentieren