Agenda von MSB und MAGS NRW: Nichts Neues am Berufskolleg?!

Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung

Das Ministerium für Schule und Bildung (MSB) NRW hat gemeinsam mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) NRW eine „Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung“ entwickelt. Aber was steckt für Lehrkräfte und Schüler*innen dahinter? Und welche wichtigen Themen wurden in dem Papier ausgelassen? Eine erste Einschätzung der Gewerkschaften.

Mit so einem Papier haben die Akteure der beruflichen Bildung von Kammern, Arbeitgebern und Gewerkschaften wohl kaum gerechnet. Die federführenden Ressorts des MSB und des MAGS haben in einer Fleißarbeit alles zusammengetragen, was aktuell in der Diskussion ist, und als „Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung“ in einen Kommunikationsprozess geschickt. Der DGB wurde dabei nur mittelbar berücksichtigt.
Die Bandbreite der Vorschläge reicht von laufenden Projekten, Initiativen und Maßnahmen über die Umsetzung vorhandener gesetzlicher Aufträge bis hin zu Absichtserklärungen. Vieles reduziert sich auf Stichworte, die offenlassen, was real gemacht werden soll. Im Zentrum stehen die Felder, in denen das Land weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten hat. Das Berufskolleg rückt damit nach Jahren der Vernachlässigung in den Mittelpunkt der bildungspolitischen Diskussion. Transparenz scheint das oberste Gebot zu sein, nachdem jahrzehntelang das Gegenteil praktiziert wurde.

Systematische Evaluation zulassen!

Der DGB NRW und die GEW NRW halten eine Stärkung der beruflichen Bildung mit dem Ziel der Neuausrichtung der Berufskollegs für dringend geboten. Die Landesregierung verweigert sich aber weiter einer systematischen externen Evaluierung des berufsbildenden Schulwesens. Außerdem stellt sich die Frage, ob das Land bereit ist, stärker die Verantwortung für die Entwicklungen der berufsbildenden Schulen zu übernehmen. Es ist ein Spagat zwischen mehr Selbstständigkeit der Schulen auf der einen und Führungsverantwortung des Landes auf der anderen Seite.

Ausbildungsgarantie geben!

Die über die Landesverfassung formulierte Ausbildungsgarantie ist kein Thema in der Agenda. Im Ausbildungskonsens ist von einer verbindlichen Perspektive die Rede. Das Problem: Nach wie vor fehlen Ausbildungsplätze in NRW. Insofern wäre nicht nur mehr Transparenz durchaus wünschenswert. Die Auflistung der Transparenz- und Ausbaumaßnahmen in der Agenda ist so umfänglich wie umstritten. Einmündungsstatistiken gibt es heute schon, sie werden aber unzulänglich genutzt. Sind Teilqualifizierungs-
konzepte sinnvoll? Ist es tatsächlich zielführend, die schulischen Assistent*innenausbildungs-gänge auszuweiten? Hierzu wollen DGB und GEW gemeinsame Antworten mit den Partnern auf Landesebene finden.
Das Handlungspaket zur Optimierung des Übergangs von der Schule in den Beruf bietet wenig Innovatives, dafür aber eine Auflistung von Prozessen, die schon seit Jahren laufen sollten. „Kein Abschluss ohne Anschluss“ ist kein neues Konzept, eine Abstimmung zwischen den Akteuren und eine begleitende Evaluation sind längst überfällig.

Schulische Vorleistungen anerkennen!

Über die Anrechnung schulischer Vorleistungen nach Berufskollegsanrechnungs- und Zulassungsverordnung (BKAZVO) wird seit Jahren diskutiert. Eine verbesserte Kommunikation ist nicht ausreichend. Für die Jugendlichen und die Betriebe ist die fehlende Anrechnung bildungsökonomisch ein Ärgernis. Auch angesichts des Lehrer*innenmangels kann sich das Berufskolleg das hohe Maß an Beliebigkeit nicht mehr leisten. Es wird Zeit, zu einer verpflichtenden Anrechnung zurückzukehren.

Geflüchtete integrieren!

Dass Geflüchtete in dem neuen Papier kaum vorkommen, spricht Bände. Alle bisherigen Ini-tiativen zur Beschulung nicht schulpflichtiger Jugendlicher haben mehr oder weniger einen homöopathischen Charakter. Der Koalitionsvertrag sah eine Verlängerung der Schulpflicht bis zum 25. Lebensjahr vor. Nach mehrjähriger Diskussion erklärt das MSB seine Nichtzuständigkeit. Auch die gewerkschaftliche Forderung, die internationalen Förderklassen für schulpflichtige Geflüchtete von vornherein auf zwei Jahre anzulegen, wird nicht aufgegriffen.

Fachhochschulreife integrativ erwerben!

Der integrative Erwerb der Fachhochschulreife ist für die Gewerkschaften das Herzstück des Berufskolleggesetzes, doch die Realität ist ernüchternd. Lediglich ein Prozent der Auszubildenden der dualen Fachklassen nimmt diese Möglichkeit wahr. Völlig im Dunkeln bleibt die Zahl der erfolgreichen Absolvent*innen.
Und wie reagiert die Landesregierung? Mit „Werbemaßnahmen für die Kombination von dualer Ausbildung und Abitur / Fachhochschulreife“. Statt weiterer Werbung wäre es ratsamer zu evaluieren, aus welchen Gründen dieses Modell ein absolutes Schattendasein fristet und welche Anreizsysteme eventuell weiterhelfen können.
In der Frage der Lehrkräfteausbildung wird das Seiteneinsteiger*innenmodell in seinen Varianten fortgeschrieben. Aussagen zur Erhöhung der Ausbildungskapazität der Hochschulen werden nicht konkretisiert. Die für die Schulen dringend erforderliche Bedarfserhöhung für die Ausbildung im Seiteneinstieg wird nur vage als Prüfauftrag benannt.

Digitalisierung konkret fördern!

„Globalisierungs- und Transformationsprozesse durch Digitalisierung in der beruflichen Bildung umsetzen – Anspruch und Wirklichkeit“ – was für ein Sprach- und Marketingungeheuer! Eigentlich steckt eine Selbstverständlichkeit dahinter, nämlich die Verpflichtung des Landes, den Beschluss der Kultusministerkonferenz zur Beruflichen Bildung 4.0 umzusetzen.
Im gemeinsamen Papier von MSB und MAGS wird die Umsetzung in zehn Unterpunkten aufgeblasen. Jeder Bildungsgang im Berufskolleg wird genannt. Da sollen die Transformationsprozesse der Digitalisierung „erweitert, strukturiert, unterstützt und gestärkt“ werden. So wird ein Maßnahmenkatalog zum Phrasenkatalog.
Konkrete Aussagen zu Unterstützungsleistungen für Schulen fehlen. Stattdessen findet sich die Ankündigung, Rahmenbedingungen für „Distance learning“ und „Blended learning“ zu schaffen – ein schwieriges Konzept für Auszubildende mit erhöhtem Unterstützungsbedarf. Es stellt sich die Frage, wie ernst die Landes-regierung die eigene Initiative nimmt.

Staatliche Verantwortung

Auf der Grundlage einer umfassenden Bestandsaufnahme bedarf es einer Gesamtstrategie, die das Verhältnis von Selbststeuerung und staatlicher Gesamtverantwortung neu definiert. Diese Forderung steht nicht im Gegensatz zur Entwicklung der Regionalen Bildungszentren (RBZ). Die Erprobung nimmt in der Agenda einen breiten Stellenwert ein. Gegen mehr Gestaltungs- und Handlungsspielräume und die Schaffung von passenden regionalen Bildungsangeboten für junge Menschen ist eigentlich nichts einzuwenden. Hier wird es auf die Einhaltung der Mitbestimmung bei der Gestaltung der RBZ ankommen, gerade in Bezug auf die Arbeitsplatzbedingungen der Beschäftigten.
Eine detaillierte Prüfung aller Vorschläge aus gewerkschaftlicher Sicht steht noch aus.


Sabine Flögel
Mitglied im Leitungsteam der Fachgruppe Berufskolleg der GEW NRW

Norbert Wichmann
Abteilungsleiter für Bildung und Ausbildung des DGB NRW

Foto: iStock.com / skynesher

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