NRW verstärkt Initiativen gegen Gewalt an Schulen

Prävention und Intervention

Gewalttaten in Schulen nehmen zu – soweit die öffentliche Wahrnehmung. Ein genauer Blick auf die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik und in die Klassenzimmer relativiert viele Meldungen. Er verdeutlicht aber auch, wo die Herausforderungen liegen und welche Initiativen gegen Gewalt in Schule wirksam sind.

Das Thema Gewalt an Schulen ist derzeit in den hiesigen Medien allgegenwärtig. So titelt die Westdeutsche Allgemeine Zeitung „Grundschule: Gewalt unter den Kleinsten“ und unter Bezugnahme auf die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für Nordrhein-Westfalen fragt der Stern, ob Kinder und Jugendliche immer brutaler werden. An dieser Stelle kann schon einmal gesagt werden: Nein, werden sie nicht! Doch Schulen gehen zunehmend konsequenter gegen Gewalt und Jugendkriminalität vor. Sie ahnden delinquentes Verhalten – auch weil sie nicht erst seit dem Erlass zur „Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung  der Jugendkriminalität“ (BASS 18-03 Nr. 1) dazu Rückendeckung vom MSB NRW erhalten.
In der Diskussion gehen faktische und gefühlte Wahrheit stark auseinander: Es ist wahr, dass die kürzlich veröffentlichte Polizeikriminalstatistik einen leichten Anstieg der Straftaten im Zeitraum von 2016 bis 2017 an Schulen ausgemacht hat. Die Statistik macht eine Zunahme von 879 Delikten aus. Das ergibt einen prozentualen Anstieg von 3,3 Prozent. Allerdings lohnt sich der genaue Blick auf die Zahlen. Die Polizei-
kriminalstatistik spricht von der Tatörtlichkeit Schule. Das beinhaltet nicht nur Straftaten bezogen auf das Schulgebäude, sondern auch solche außerhalb des Geländes der Schule, auf dem Schulweg oder bei schulischen Veranstaltungen wie Klassenfahrten oder Schulwanderschaften. Auch macht die Statistik keine Aussagen darüber, um welche Uhrzeit Straftaten begangen werden. Sobald also nachts eine Straftat, zum Beispiel ein Diebstahl, auf dem Gelände der Schule begangen wird, spricht man gleichermaßen von der Tatörtlichkeit Schule. Insofern sind diese Delikte nicht gleichzusetzen mit der Anzahl delinquenter Kinder und Jugendlicher. Es lohnt sich auch der Blick auf die Verteilung der Straftaten: Während die Körperverletzungsdelikte tatsächlich zugenommen haben, sank die Zahl der Diebstahlsdelikte. Doch auch wenn die Häufung der Körperverletzungsdelikte Aufmerksamkeit erfordern muss, ist auch Fakt, dass der Zehnjahrestrend der Straftaten an Schulen insgesamt rückläufig ist.
Zudem muss unterschieden werden, an welchen Schulformen die Straftaten stattfinden. Im originären Bildungssektor hat sich an den Schulen von der 1. bis zur 13. Klasse, also dort wo Kinder und Jugendliche in der Altersklasse zwischen 6 und 18 Jahren sind, ein Anstieg von 155 Straftaten ergeben. Das ist nicht erfreulich und kein Grund, die Gewalt an Schulen zu marginalisieren. Allerdings sind die Zahlen insgesamt weniger dramatisch als medial postuliert.

Gewalt im Unterricht thematisieren, Straftaten anzeigen

Das damalige Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen hat 2014 zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Polizei, Jugendämtern beziehungsweise Jugendhilfe und Schulen in Kooperation mit Innen-, Justiz- und Familienministerium den Erlass zur „Zusammenarbeit und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ veröffentlicht. Darin wird besonders darauf hingewiesen, dass zur Vermeidung von Gewalt und Drogenkonsum die Themen verstärkt im Unterricht behandelt werden sollen. Gleichfalls sind Schulen durch diesen Erlass angehalten, Straftaten polizeilich verfolgen zu lassen, um einerseits Jugendkriminalität so früh wie möglich zu erkennen und einzudämmen und andererseits eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Auch wird durch den Erlass das Thema Gewalt und Cybergewalt an Schulen in der Lehrer*innenausbildung stärker fokussiert, sodass bereits junge Lehrkräfte dafür sensibilisiert werden. Die Hürden der Anzeigebereitschaft werden dadurch niedriger. Schulen verfolgen delinquentes Verhalten viel häufiger, um einer Verstetigung von Gewalttaten entgegenzuwirken.
Nicht nur das Land, auch die Kommunen arbeiten aktiv gegen Jugendkriminalität. Durch die vertrauensvolle und kontinuierliche Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Institutionen wie Schulpsychologie, Jugendhilfe, Polizei, Kirchen und anderen Organisationen kann ein ausgedehntes Hilfesystem angeboten werden, auf das die Schulen zurückgreifen können. Durch die stark vernetzte Arbeit der Akteur*innen und die erhöhte Sensibilisierung der Lehrkräfte kann es dazu kommen, dass Gewalttaten stärker wahrgenommen werden und Schulen mehr Straftaten zur Anzeige bringen. Neben der höheren medialen Aufmerksamkeit ein weiterer Grund dafür, dass die Dunkelziffer sinkt. Dazu beigetragen haben sicherlich Interventionskonzepte wie das Diversionsverfahren, der Tatausgleich in Schulen oder das Programm „Kurve kriegen“. Bei allen Maßnahmen ist die Voraussetzung für die genannten Interventionen die Strafanzeige durch die Schulen. In den vielen Jahren der Zusammenarbeit wurden Schulleitungen seitens des Ministeriums immer wieder ermutigt, Strafanzeigen zu erstatten, um konsequent gegen Jugendkriminalität vorzugehen.

Soziale Ungleichheit entlädt sich in den Schulen

Viele Faktoren beeinflussen das Gefühl der Menschen. Es ist irrational und rational zugleich. Seit Jahren wird von einem Anstieg der Gewalt an Schulen – zunehmend auch gegen Lehrkräfte – berichtet und durch medial stark aufbereitete Einzelfälle vermeintlich belegt. Der Effekt ist unübersehbar: Durch die mediale Verbreitung und Diskussion werden Einzelfälle schnell zu einem gesellschaftlich wahrgenommenen Problem. Und ob belegbar oder nicht, die gesellschaftliche Wahrnehmung muss ernst genommen werden – im Zeitalter von Fake-News und Sozialen Medien umso mehr. Denn auch wenn die Zahlen dagegensprechen, ist das Gefühl der Menschen oft stärker als jede Statistik.
In der Schule befinden sich die Jugendlichen die meiste Zeit des Tages. Somit ist die Schule immer mehr zu einem sozialen Entwicklungsraum geworden. Neben vielen positiven Erlebnissen, die Kinder und Jugendliche in der Schule erfahren, gibt es auch Auseinandersetzungen und Konflikte, die in Gewalt münden können. Als Abbild unserer heterogenen Gesellschaft erleben Schulen gesellschaftliche Ungleichheiten unmittelbar, weil sie beispielsweise mit sozialen Belastungssituationen innerhalb der Familien konfrontiert sind oder sich migrationsspezifische Probleme mit sozialer Ungleichheit in den Vierteln schulisch abbilden. Oft stimmt dann auch das unmittelbare gesellschaftliche Gefühl, denn Gewalt und soziale Ungleichheit stehen im direkten Zusammenhang. Gewalt – besonders körperliche – zeigt sich am häufigsten, wenn Kinder und Jugendliche das ohnmächtige Gefühl in sich tragen, keine Chance zu haben und nicht mitentscheiden zu können. Das kann im Ergebnis dazu führen, dass ihnen Selbststeuerungsmechanismen fehlen und sie gewalttätig werden. Die Schule setzt sich daher mehr denn je mit Vielfalt und Demokratiebildung auseinander. Das ist Herausforderung und Aufgabe zugleich – unstrittig und nicht diskutierbar. Hier kann die Schule ansetzen. Es gibt viele hervorragende Beispiele, wie Jugendliche im schulischen Rahmen gestärkt und gefördert werden: Schulsozialarbeit wird ausgebaut, die Arbeit der Beratungslehrkräfte wird erweitert und durch Angebote der Schulpsychologie flankiert.

Konzepte zu Prävention und Invention

Die Bildung schulischer Teams für Beratung, Gewaltprävention und Krisenintervention wird seitens des MSB NRW sowohl in den „Notfallordnern für Schulen in NRW – Hinsehen und Handeln“ als auch im Beratungslehrkräfteerlass von Mai 2017 empfohlen. Diese Schulteams sind ein wirksames Instrument, um dem Themenfeld Gewalt am jeweiligen Schulstandort mit passenden Konzepten zu Prävention und Intervention zu begegnen, das standortbezogene Netzwerk zu involvieren sowie fachlich und in der Beratung gut aufgestellt zu sein. Sie können und sollen darüber hinaus als Motor für eine schulinterne Positionierung fungieren, für Haltung und klare Ansprache denjenigen Kindern und Jugendlichen gegenüber, für die Gewaltanwendung jeglicher Art eine akzeptable Variante im Miteinander ist. Darüber hinaus sollten schulintern in kollegialen Fallbesprechungen Kolleg*innen Unterstützung finden, die selbst in den Fokus von Gewalt durch Kinder und Jugendliche geraten sind.
Eine Vielzahl vorhandener Angebote und Projekte ist im Bereich Gewaltprävention und Intervention anzusiedeln. An vielen Schulen hat Demokratiebildung Tradition. Schulen setzen darauf, dass Kinder und Jugendliche beispielsweise in Schüler*innenparlamenten oder Klassenräten Schule mitgestalten. Weiterhin setzen Lehrkräfte auf offene Unterrichtsformen, in denen Jugendliche ihre Themen individuell und auch in ihrer Geschwindigkeit bearbeiten können. Immer mehr wird auch in der Lehrer*innenausbildung auf ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen vorbereitet. Es wird auf Wertschätzung und Miteinander geachtet, um Hierarchien abzubauen und vertrauensvolle Ebenen zu schaffen.
Schließlich setzen Schulen auf langfristige und gut evaluierte Programme. Theaterpädagogische Instrumente können begleitend eingesetzt werden, da Jugendliche emotional sind und Plattformen benötigen, um sich ausleben zu können. All das trägt dazu bei, dass Schule als Entwicklungsort Schüler*innen auf mehreren Ebenen begleitet und wachsen lässt, aber auch Haltung zeigt und klare Grenzen setzt.

Vielfältiges Hilfesystem für Schulen

Das MSB NRW baut das Hilfesystem für die Schulen ebenfalls weiter aus. So wurde zum
1. März 2018 eine zweite Stelle durch eine abgeordnete Lehrkraft bei der am Düsseldorfer Zentrum für Schulpsychologie angegliederten Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen (LPS) in NRW geschaffen.
Hier wird Schule auf mehreren Ebenen unterstützt. Zielsetzung ist auch hier die Sensibilisierung der Lehrkräfte. Die LPS ist landesweite Anlaufstelle bei konkreten Fragestellungen zu Vorfällen von (Cyber-)Mobbing und Gewaltanwendung. Sie berät und informiert bei Präventions- und Interventionsmaßnahmen in Form von Workshops für Multiplikator*innen und unterstützt bei der Qualifizierung von Beratungslehrkräften sowie in der Lehrer*innenausbildung. Sie steht sowohl Schulleitungen, Lehrkräften, Schüler*innen als auch der Elternschaft zu diesen Themen zur Verfügung. Gleichfalls kann auf die Landesstelle Schulpsychologie und schulpsychologisches Krisenmanagement (LaSP) verwiesen werden, die ebenfalls im Auftrag des Ministeriums arbeitet und bei der Bezirksregierung Arnsberg angesiedelt ist. Sie unterstützt Schulen in NRW bei schulischen Krisen und Großschadenslagen wie Amok- oder Gewaltereignissen, bei der Prävention von Extremismus und sexueller Gewalt sowie Gewalt gegen Lehrkräfte und stellt im Rahmen von Fachtagen, Workshops und Fortbildungen eine Vielzahl von fachlichen Unterstützungsangeboten bereit. Das MSB NRW fördert mit beiden Einrichtungen ein nachhaltiges und flächendeckendes Angebot für alle Schulen in den Bereichen Schulentwicklung und Vernetzung.
Darüber hinaus sind in den Kommunen und Kreisen in NRW flächendeckend schulpsychologische Einrichtungen in Kooperation zwischen Land und der jeweiligen Kommune implementiert, die beratende Unterstützung zu Prävention und Intervention vor Ort bereithalten.


Anja Niebuhr
Leitung des Zentrums für Schulpsychologie

Fotos: iStock.com / Morozov_photo; dimitris_k, luna4 / photocase.de

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