G9: Was nichts kostet, ist nichts wert

G9-Reform

Im Schuljahr 2017 / 2018 besuchen mehr als 2,5 Millionen Schüler*innen die Schulen in NRW, davon sind mehr als 530.000 Schüler*innen am Gymnasium. Die Übergangsquote variiert in den Städten und Gemeinden stark, sie beträgt landesweit mehr als 40 Prozent. Wenn diese Schüler*innen bald ein Jahr länger zum Gymnasium gehen, wird das teuer – vorausgesetzt, es soll gelingen.

Wer die Kosten für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium berechnen will, die im Landeshaushalt zusätzlich zu finanzieren sind, muss zwei große Ausgabenblöcke in den Blick nehmen: Zum einen ist die Schaffung zusätzlicher Stellen für Lehrer*innen zwingend. Hier ist das Land direkt und unmittelbar gefordert. Zudem führt die Umstellung zu deutlich höheren Kosten bei den Schulträgern. Auf die Erstattung der Kosten haben kommunale Schulträger einen Rechtsanspruch. Dieser leitet sich aus dem sogenannten Konnexitätsausführungsgesetz ab. Dort ist unter Bezug auf Artikel 78 Absatz 3
der Landesverfassung geregelt, dass sie Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich (Belastungsausgleich) einschließlich der Definition eines Verteilschlüssels haben, wenn das Land ihnen neue Aufgaben überträgt oder bestehende Aufgaben verändert und sich daraus eine wesentliche Belastung ergibt. Hierzu ist aufgrund einer Kostenfolgeabschätzung der Ersatz der entstehenden Aufwendungen per Gesetz oder Rechtsverordnung zu regeln. Seit dem Streit um die kommunalen Kosten der schulischen Inklusion ist höchstrichterlich geklärt, dass diese Ausgleichsregelung zeitgleich mit dem Gesetz in Kraft treten muss, das die Kosten verursacht.

Wie werden die konnexitätsrelevanten Kosten erfasst?

In Absprache mit den Kommunalen Spitzenverbänden hat das Ministerium für Schule und Bildung (MSB) NRW eine Projektgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Kerstin Schneider, Dr. Anna Makles und Prof. i.R. Dr. Klaus Klemm damit beauftragt, eine Methodik zu entwickeln, mit der die zusätzlichen und konnexitätsrelevanten Kosten durch die Einführung von G9 ermittelt werden können, und die Höhe der gesamten konnexitätsrelevanten Kosten für das Land abzuschätzen. Das von ihnen erarbeitete Gutachten erfasst folgende Kostenarten:

  1. Kosten einer G9-bedingten Kapazitätserweiterung und Unterhaltung von neuen Gebäuden oder Erweiterungsbauten
  2. Sachausstattung
  3. Lehr- und Lernmittel
  4. Schüler*innenfahrkosten
  5. zusätzliche Kosten für nicht lehrendes Personal der Schulträger (Sekretariats- und Hausmeister*innenstellen) durch eine steigende Schüler*innenzahl und zusätzlich zu bewirtschaftende Flächen
  6. Bewirtschaftungskosten
  7. Bauerhaltungskosten und Abschreibungen auf Schulgebäude

So kalkulieren die Forscher*innen zum Beispiel einen Bedarf von 1.016 zusätzlich erforderlichen Klassenräumen. Die Gutachter*innen beziffern die einmaligen Kosten mit 518 Millionen Euro, die jährlichen mit 31 Millionen Euro.
Das MSB NRW betonte, dass es keinen Automatismus zwischen Gutachten und der noch zu entwickelnden konkreten Belastungsausgleichsregelung geben werde; die Kommunen bezeichneten das Gutachten als geeignete Grundlage und stellten die Forderung nach einer regionalen Betrachtung heraus. So wird deutlich, dass das Gutachten zwei Methoden zur Kostenermittlung beschreibt: einen NRW-Ansatz und einen Schulträgeransatz. Zielführend scheint aus Sicht der GEW NRW nur der Letztere.

Zusätzliche Stellen für Lehrer*innen erforderlich

Der vorliegende G9-Gesetzentwurf geht davon aus, dass die Neuregelungen erstmals auf die Schüler*innen anzuwenden sind, die im Schuljahr 2019 / 2020 die Klassen 5 und 6 besuchen. Der Entwurf prognostiziert auch, wie sich die Umstellung aller G8-Gymnasien auf G9 auf die Zahl der Lehrer*innenstellen auswirkt.
Hier sind zwei Zeiträume – bis zum Schuljahr 2026 / 2027 und danach – zu unterscheiden: Zunächst sinkt der Bedarf, ab dem Schuljahr 2026 / 2027 steigt er deutlich (siehe Tabelle). In den Schuljahren 2019 / 2020 bis 2022 / 2023 vermindert sich der Bedarf zunächst schrittweise um insgesamt rund 430 Stellen, da bei G9 in den einzelnen Jahrgangsstufen weniger Wochenstunden erteilt werden als bei G8. Ab dem Schuljahr 2023 / 2024 vermindert sich der Stellenbedarf gegenüber 2022 / 2023 um weitere rund 1.370 Stellen auf insgesamt rund 1.800 Stellen. Grund hierfür ist, dass die Schüler*innen der 9. Klasse am Ende des Schuljahres 2022 / 2023 nicht in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe, sondern in die (neue) 10. Klasse der Sekundarstufe I eintreten. Dort gilt derzeit die Relation Schüler*innen je Stelle von 19,88 gegenüber der Relation von 12,70 in der gymnasialen Oberstufe.
Die gymnasiale Oberstufe umfasst in den Jahren 2023 / 2024 bis 2025 / 2026 jeweils nur zwei statt drei Jahrgangsstufen. Ab dem Schuljahr 2026 / 2027 steigt der Stellenbedarf gegenüber 2025 / 2026 um rund 4.000 Stellen. Ab diesem Schuljahr ergibt sich ein jährlicher Stellenmehrbedarf von rund 2.200 Stellen, weil dann in der Sekundarstufe I insgesamt bis zu 188 statt 163 Gesamtwochen-stunden erteilt werden. Diese 2.200 zusätzlichen Stellen ergeben einen zusätzlichen Finanzbedarf von circa 120 Millionen Euro.
Bei der Umstellung auf G8 wurde geregelt, dass rechnerisch überzählige Stellen für kurze Zeit am Gymnasium verbleiben. In den Jahren sinkenden Bedarfs – vor allem im Schuljahr 2023 / 2024 – wird das erneut nötig sein. Hier muss darauf verwiesen werden, dass die seit Jahren leider weitgehend stabile Kienbaum-Lücke am Gymnasium im Haushalt 2018 noch immer mit 1.014 Stellen angegeben wird. Zudem ist es aus sozialen Gründen und mit Blick auf die fachspezifische Lehrer*innenversorgung zwingend notwendig, die Zahl der Einstellungen zu verstetigen.

Weitere Kosten und Zeit für gute Planung

Will man die gesamten G9-Kosten beziffern, sind weitere Aspekte relevant: Im Koalitionsvertrag und G9-Gesetzentwurf wird fast zwanghaft betont, dass das G9-Gymnasium als Halbtagsgymnasium möglich sein müsse. Wer eine positive Schulentwicklung am Gymnasium will, wer mehr Zeit für das Lernen geben will und wer ohne Scheuklappen gesellschaftliche Realität zur Kenntnis nimmt, muss den (gebundenen) Ganztag auch am Gymnasium weiter ausbauen. Hier sind Land und Kommunen gleichermaßen gefordert.
Kolleg*innen an den Gymnasien bei der Umstellung gut zu unterstützen, erfordert zum einen Zeit für die gesamten Kollegien, die richtige Lösung für ihre Schule zu finden. Die GEW NRW fordert daher zwei pädagogische Tage für die Gymnasien im Schuljahr 2018 / 2019. Neue schulinterne Curricula fallen nicht vom Himmel. Gymnasien gut zu unterstützen, erfordert auch, Richtlinien und Lehrpläne für künftig zwei unterschiedlich lange Bildungsgänge zu pflegen. Ob Schulaufsicht und QUA-LiS NRW derzeit dazu personell in der Lage sind, ist fraglich.
Die Kraftanstrengung der G9-Umstellung darf nicht dazu führen, dass der Bedarf anderer Schulformen ignoriert wird. Seit dem Regierungswechsel besteht die Gefahr, dass Herausforderungen durch Integration und Inklusion, aber auch die Herstellung von Chancengleichheit vor allem von Gesamtschulen und Sekundarschulen bewältigt werden müssen – ohne dass die Politik die hierfür notwendigen Gelingensbedingungen schafft. Hier gibt es Nachholbedarf. Es gibt ihn jetzt.


Michael Schulte
Geschäftsführer der GEW NRW

Foto: Dot.ti / photocase.de

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