Geschlechtergerechtigkeit: Zurück in die Zukunft

Von Donald Trump über Marine Le Pen bis Frauke Petry – sexistische Positionen scheinen politikfähig zu werden. Auch die populistischen Parteien besetzen die Themen Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit. Doch was verbirgt sich tatsächlich hinter ihren Forderungen? Droht der feministische Rollback? 

„Mann, bist du fähig, gerecht zu sein?“, fragte die französische Schriftstellerin und feministische Politaktivistin, Olympe des Gouges, 1791 im Vorspann zu ihrer berühmten „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. Die Organisatorin und Rednerin des Pariser Frauenclubs „Société populaire des femmes“ kritisierte in ihrer an Form und Aufbau an die 1789 von der französischen Nationalversammlung verabschiedete „Allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ angelehnten Gegendeklaration die fortdauernde Tyrannei der Männer und forderte deren Aufhebung. „Freiheit und Gerechtigkeit bestehen darin, den anderen zurückzugeben, was ihnen gehört“, schrieb sie in Artikel IV und meinte damit die „natürlichen Rechte“, an deren Ausübung die Frauen gehindert wurden. Hierunter zählte sie Freiheit, Sicherheit, das Recht auf Eigentum und das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung. Bürger wie Bürgerinnen sollten persönlich oder durch Vertreter*innen am Gesetzgebungsprozess beteiligt werden. De Gouges Forderungen waren revolutionär. Sie rief die Frauen dazu auf, ihre Rechte zu erkennen. Ihre Kritik an Maximilien de Robespierres Herrschaft führte schließlich 1793 zu ihrer Verhaftung und Hinrichtung.
Frauen sind in den Kämpfen und Auseinandersetzungen um Geschlechtergerechtigkeit in der Politik und um ihre politische Gleichberechtigung viele lange und häufig auch verschlungene Wege gegangen. Sie haben kleinere und größere Siege gefeiert und bittere Niederlagen erfahren. In Deutschland durften sie bis 1908 in keiner politischen Partei Mitglied sein. Erst 1918 proklamierte der Rat der Volksbeauftragten, der nach dem Ersten Weltkrieg die oberste Regierungsgewalt inne hatte und aus Mitgliedern der Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) und Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) bestand, das allgemeine aktive und passive Wahlrecht für Männer und Frauen. Verankert wurde es in der „Verordnung über die Wahl zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung“, sodass im Januar 1919 Frauen erstmalig reichsweit sowohl wählen als auch gewählt werden durften.

Parteien in NRW: Wie geschlechtergerecht sind die Landeslisten?

Bis heute gelten politische Partizipationsmöglichkeiten als zentrale Indikatoren für Geschlechtergerechtigkeit in der Politik. Hierzu zählt neben der Zusammensetzung der Mitgliederschaft der Parteien unter anderem auch die Besetzung innerparteilicher wie öffentlicher Ämter. Betrachtet man die Landeslisten für die kommende Wahl des mindestens 181 Sitze – zurzeit aufgrund von Überhangmandaten 236 Sitze – umfassenden nordrhein-westfälischen Landtags, zeigen sich eklatante Unterschiede zwischen den Parteien. Die GRÜNEN und DIE LINKE haben durchgängig quotierte Listen verabschiedet, auf denen 60 beziehungsweise 40 Personen stehen, wobei alle ungeraden Plätze mit Frauen, alle geraden mit Männern besetzt sind. Für die ersten 97 Plätze der 130 Personen umfassenden Landesliste der SPD gilt dasselbe: Auch hier ist jeder ungerade Platz mit einer Frau, jeder gerade mit einem Mann besetzt. Da jedoch ab Platz 98 nur noch Männer kandidieren, beträgt der Frauenanteil auf der SPD-Liste nicht 50, sondern 37,7 Prozent. Auf 36 der 114 Sitze umfassenden Landesliste der CDU kandidieren Frauen, was einem Anteil von 31,6 Prozent entspricht. Die Liste folgt damit weitgehend dem Quorum der CDU, nach dem nach Möglichkeit mindestens ein Drittel der zu vergebenden Plätze mit Frauen besetzt werden soll. Die bestplatzierte Frau befindet sich auf Platz 3, die am schlechtesten platzierte auf Platz 104. Die 121 Personen umfassende FDP-Landesliste besteht zu knapp einem Viertel aus Kandidatinnen, die sich jedoch mehrheitlich auf aussichtslosen Listenplätzen befinden. Auf den ersten 30 Plätzen kandidieren nur vier Frauen. Auf der Liste der Piratenpartei, die den gegenwärtigen Umfragen zufolge im neuen Landtag nicht mehr vertreten sein wird, kandidieren acht Frauen und 33 Männer, was einem Frauenanteil von 19,5 Prozent entspricht. Schließlich sind 11 von 59 Kandidat*innen auf der Landesliste der AfD weiblich. Das heißt, der Kandidatinnenanteil liegt bei 18,6 Prozent, wobei die bestplatzierte Frau erst auf Platz 10 zu finden ist.

AfD und Geschlechtergerechtigkeit: Wie passt das zusammen?

Gegenwärtig ist die im Februar 2013 unter der Federführung einer kleinen Gruppe ehemaliger CDU-Mitglieder und parteipolitisch ungebundener Journalist*innen und Lobbyist*innen gegründete AfD im nordrhein-westfälischen Landtag nicht vertreten. Aber Umfragen sehen die medial sehr präsente Partei, der es in kürzester Zeit gelang ins Europaparlament und in neun Landtage einzuziehen, in Nordrhein-Westfalen bei einem Stimmenanteil zwischen sieben und zehn Prozent. Die AfD ist ähnlich wie andere rechte Parteien deutlich männlicher geprägt als andere. Fast 80 Prozent ihrer Mitglieder sind Männer und sie wird überproportional häufig von Männern zwischen 25 und 59 Jahren gewählt. Geschlechterquoten lehnt sie prinzipiell als „leistungsfeindlich und ungerecht“ ab.
In Mai 2016 verabschiedete die AfD ihr Grundsatzprogramm, das ein „Programm für Deutschland“ sein soll und de facto eines gegen die Bundesrepublik ist, deren Machtverteilung nach Auffassung der AfD nicht mehr den Grundsätzen der Gewaltenteilung entspreche. Darin geht die Partei von einem „differenzierten Menschenbild“ aus, das nicht dem des Grundgesetzes entspricht, nach dem alle Menschen gleich sind. Das zeigt sich besonders deutlich in der geradezu obsessiven Befassung mit geschlechterpolitischen Fragen.

Frauenpolitik der AfD: Zurück zur traditionellen Familienpolitik

Frauenpolitik ist bei der AfD in allererster Linie Familienpolitik. Kinder und Erziehungsleistungen sollen stärker bei der Rente berücksichtigt und die Pflege durch Angehörige aufgewertet werden. Die AfD bekennt sich zur traditionellen Familie als Leitbild und lehnt eine „zunehmende Übernahme von Erziehungsaufgaben durch staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen“ ab. Denn hierdurch würden – ebenso wie durch Gender-Mainstreaming – die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit untergraben und traditionelle Geschlechterrollen stigmatisiert. Im Unterschied zu vielen konservativen Parteien verknüpft die AfD in ihrer Familienpolitik demografische und einwanderungspolitische Positionen, was typisch für Parteien der extremen Rechten ist, die in der Regel bevölkerungspolitisch argumentieren.
Konkret bedeutet das: Die AfD setzt sich ein für eine Steigerung der Geburtenrate der „einheimischen Bevölkerung“ als Alternative zur Einwanderung, um „demographischen Fehlentwicklungen“ entgegenzuwirken. Hierfür möchte sie ein Darlehenssystem zum Erwerb von Wohneigentum für Eltern einführen, welches an die Ehestandsdarlehen im Nationalsozialismus und / oder die Ehekredite in der DDR erinnert. Außerdem möchte die AfD, dass die „Diskriminierung von Vollzeit-Müttern“ ebenso gestoppt wird wie Schwangerschaftsabbrüche – letzteres indem Frauen dazu gebracht werden sollen, den Embryo auszutragen und das Kind zur Adoption freizugeben. Ein besonderer Dorn im Auge ist der Partei neben dem Gender-Mainstreaming die „Gender-Forschung“. Für diese soll das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit nicht gelten, weil sie nach Auffassung der AfD nicht den Anspruch erfüllt, „der an seriöse Forschung gestellt werden“ müsse, sondern ihre Zielsetzung „primär politisch motiviert“ sei.  Bund und Länder dürften deshalb keine Sondermittel mehr bereitstellen, bestehende Gender-Professuren nicht mehr nachbesetzen und laufende Gender-Forschungsprojekte nicht weiter verlängern.

Der feministische Rollback als Programm

Die Auszüge zeigen, dass Olympe des Gouges Frage „Mann, bist du fähig, gerecht zu sein?“ auch 225 Jahre später noch aktuell ist. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland haben Parteien Konjunktur, die unverholen zum Angriff auf all jene mobilisieren, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechtergleichheit einsetzen, und die am liebsten das Rad der Geschichte zurückdrehen möchten.


Dr. Alexandra Kurth ist Politikwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Arbeitsstelle Gender Studies der Justus-Liebig-Universität Gießen


Foto: onemorenametoremember / photocase.de

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