Weichenstellung für die Zukunft

Bochumer Memorandum 2011 bis 2017: Schulabschlüsse

Ein Schulabschluss ist für die Bildungs- und Erwerbsbiografie eine wichtige Voraussetzung. Insofern ist es erfreulich, dass es in NRW gelingt, einen hohen Anteil der Schulabgänger*innen mit mindestens einem mittleren Schulabschluss auszustatten. Die Quote der AbgängerInnen ohne Abschluss ist jedoch noch deutlich von der Zielsetzung des Bochumer Memorandums entfernt.

Das Bochumer Memorandum hat dies-bezüglich das Ziel formuliert, den Anteil der Schüler*innen, die mindestens einen mittleren Schulabschluss erhalten, zwischen 2011 und 2015 von 75 auf 85 Prozent zu steigern. Da sich bis zum Schuljahr 2012 / 2013 schon eine Entwicklung bis zu 79 Prozent zeigte, scheint  es realistisch, dieses Ziel in 2015 erreicht zu haben.  Dies gilt allerdings nicht für das ebenfalls im

Bochumer Memorandum aufgestellte Postulat, den Anteil von Abgänger*innen ohne Abschluss im selben Zeitraum zu halbieren. Die Kultusministerkonferenz hat sich darauf geeinigt, dass als Abgänger*innen der allgemeinbildenden Schulen diejenigen Schüler*innen bezeichnet werden sollen, die die Schule ohne allgemeinbildenden Abschluss verlassen und nicht auf eine andere Schule gewechselt haben.

Quote der Schulabschlüsse heben

Je höher Menschen qualifiziert sind, desto besser gelingt der Übergang in das Erwerbsleben, desto geringer ist das spätere Arbeitslosigkeitsrisiko und desto höher ist das zu erwartende Erwerbseinkommen. „Der Erwerb eines allgemeinbildenden Schulabschlusses wird damit zur entscheidenden Voraussetzung und zugleich Weichenstellung für die weitere Bildungs- und Erwerbsbiografie“, so die Autor*innengruppe Bildungsberichterstattung. Bund und Länder haben sich bereits auf dem Bildungsgipfel 2008 gemeinsam auf verschiedene Handlungsfelder verständigt, um den Anteil von Schüler*innen ohne Schulabschluss zu reduzieren. Diese Maßnahmen wurden mit dem Ziel verbunden, die Quote der Schulabgänger*innen ohne Schulabschluss bis 2015 auf vier Prozent zu halbieren. Da sowohl bundesweit als auch in NRW etwa die Hälfte der Schulabgänger*innen aus Förderschulen stammen, ließe sich dieses Ziel nur dann erreichen, wenn von allen übrigen Schulformen nahezu keine Schüler*innen ohne einen Abschluss verbleiben würden.

Der Anteil der Schüler*innen ohne Schulabschluss lag in NRW gemessen an den altersgleichen Jahrgängen im Schuljahr 2013 / 2014 bei 6,2 Prozent aller Schulentlassenen, wovon 55 Prozent Förderschüler*innen waren. Es zeichnet sich damit auf diesem Feld keine Verbesserung der Situation ab.

Leistungsvergleichsstudien machen zudem auf ein Qualifikationsproblem aufmerksam, das über diese Gruppe hinausgeht: Die aktuellste Studie zum Erreichen der Bildungsstandards hat gezeigt, dass der für Hauptschüler*innen festgelegte Mindeststandard im Fach Mathematik in NRW von 7,5 Prozent aller Neuntklässler*innen im Jahr 2012 unterschritten wurde. Dieser Wert übersteigt die Quote der Schüler*innen, die 2012 keinen Hauptschulabschluss erlangen konnten. Das Verfehlen von mathematischen Mindeststandards scheint damit ein Problem zu sein, das sich nicht nur auf die Gruppe der  Schulabgänger*innen ohne Abschluss bezieht. 

Weichenstellung für die Zukunft
Weichenstellung für die Zukunft

Heterogenes Lernen ist pädagogisch wertvoll

Von den 11.652 Schulentlassenen ohne Abschluss des Schuljahres 2013 / 2014 stellen laut dem nordrhein-westfälischen Schulministerium neben ehemaligen Förderschüler*innen Hauptschüler*innen mit 27 Prozent die größte Gruppe dar. Zugleich besuchten im Schuljahr 2014 / 2015 nur noch knapp fünf Prozent 

aller Fünftklässler*innen eine der verbleibenden 493 Hauptschulen, von denen bereits 269 auslaufend gestellt sind. Dieser Rückbau ist mit Blick auf die Schüler*innen pädagogisch geboten, damit die Homogenität in diesen verbleibenden Schulen nicht zu groß und damit das Lernen überproportional erschwert wird. Ob Neugründungen von Sekundarschulen aus ehemaligen Hauptschulen eine Chance bieten, diese Problematik zu entschärfen, hängt davon ab, ob dort auch leistungsstärkere Schüler*innen lernen. In diesem Sinne sollte die Aufnahme von geflüchteten Kindern nicht nur an Haupt- und Sekundarschulen, sondern in allen Schulformen erfolgen.

Schwierigkeiten ohne Schulabschluss

Für Schüler*innen, die keinen Schulabschluss erreichen, bietet das Bildungssystem zwar verschiedene Möglichkeiten eines späteren Zugangs zu höherwertigen Bildungsgängen und Abschlüssen, trotzdem ist es für diese Gruppe besonders schwierig, einen Ausbildungsplatz zu finden und am Erwerbsleben teilzuhaben. Zudem stellt eine Ausbildung im dualen Berufsbildungssystem für die Betroffenen eine besondere Herausforderung dar, wenn ihnen das notwendige Grundwissen fehlt.

Das Nachholen eines Schulabschlusses kann eine erhebliche Verlängerung der für Schulbildung aufgewendeten Lebenszeit bedeuten. Der Altersunterschied zwischen Jugendlichen, die den Hauptschulabschluss an allgemeinbildenden oder aber an beruflichen Schulen erworben haben, beträgt in NRW knapp drei Jahre. Auch wenn prinzipiell die Möglichkeit besteht, einen Schulabschluss nachzuholen, muss das Verlassen einer Schule ohne Hauptschulabschluss als problematisch angesehen werden, da bundesweit nur etwa einem Viertel der Abgänger*innen der Übergang in eine berufliche Ausbildung gelingt.

Eine ernst zu nehmende Aufgabe

Weniger Schüler*innen ohne einen Abschluss am Ende der Regelschulzeit zu entlassen, ist eine anspruchsvolle, aber zugleich politisch prioritäre Aufgabe, da die hohe Anzahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss nach wie vor ein zentrales Problem in unserem Bildungswesen darstellt. Einfache Lösungsmöglichkeiten dafür gibt es nicht, doch es sollten vielfältige Anstrengungen unternommen werden, zu denen die folgenden Ansatzpunkte gehören könnten:

  • eine fortschreitende Integration von Schüler-Innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Regelschulsystem
  • der Ausbau von leistungsgemischt zusammengesetzten Sekundarschulen
  • der schnelle Rückbau von auslaufenden Hauptschulen
  • die Verteilung von geflüchteten Kindern auf alle Schulformen
  • eine berufsorientierte Profilierung von Abschlussklassen an Haupt- und Sekundarschulen, für die gegebenenfalls mit Berufsschullehrkräften zusammengearbeitet werden kann

Die Zielsetzung, mehr Schüler*innen bereits an allgemeinbildenden Schulen zu einem Abschluss zu verhelfen, sollte in NRW verstärkt weiterverfolgt werden.

Prof. Dr. Christian Reintjes
Professor für Professionsforschung und Professionalisierungsmanagement an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz 

Prof. Dr. Gabriele Bellenberg 
Professorin für Schulforschung und Schulpädagogik; Prodekanin der Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum 

Fotos (v.o.n.u.): like.eis.in.the.sunshine, Bernd Vonau, momoso / photocase.de

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