VHS: Bildung für alle braucht mehr Personal

100 Jahre Volkshochschule

Die Volkshochschule (VHS) ist seit jeher eine Bildungseinrichtung, die für Menschen verschiedener sozialer Herkünfte, Berufe, Religionen, Weltanschauungen, politischer Überzeugungen und unterschiedlicher Altersgruppen gedacht ist. 100 Jahre nach ihrer Gründung mangelt es aber an den nötigen Ressourcen, um diesem Anspruch auch in Zukunft noch gerecht zu werden.

Wenn die Volkshochschulen zum 100. Jubiläum in ihren Programmen den Fokus auf Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts richten, folgen sie einem Leitmotiv, das schon in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg im ganzen Land zu ihrer Gründung führte. Als eine „pädagogische Volksbewegung“ beschrieb der deutsche Philosoph und Pädagoge Herman Nohl das Ziel, durch Bildung für alle der Notsituation eines zerrissenen Volkes entgegenzuwirken. Menschen unterschiedlicher sozialer Herkünfte, Berufe, Religionen, Weltanschauungen, politischer Überzeugungen und verschiedenen Alters sollte die VHS zusammenführen. Die Einrichtung sollte offen sein für alle Themen und Methoden, ausgehend von der individuellen Lebenswirklichkeit der Menschen.

Die Geschichte der Volkshochschulen in Deutschland

Bereits die Weimarer Reichsverfassung bestimmte die Förderung der Volksbildung und der VHS als eine staatliche Aufgabe und begründete damit die öffentliche Verantwortung für die Erwachsenenbildung. Nachdem ihre vielgestaltige demokratische Bildungsarbeit im Nationalsozialismus durch die Gleichschaltung im „Deutschen Volksbildungswerk“ beendet worden war, begannen die Volkshochschulen nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Arbeit in Anknüpfung an Konzeptionen der Weimarer Zeit mit jeweils unterschiedlicher Prägung durch die Besatzungsmächte.
In den 1960er-Jahren änderte sich das Selbstverständnis der Volkshochschulen: Die Einrichtungen wendeten sich stärker der beruflichen Qualifizierung zu. Die Bildungsreformen der 1970er-Jahre brachten mit der vom Deutschen Bildungsrat eingeforderten öffentlichen Verantwortung für die Weiterbildung als quartären Bereich des Bildungswesens einen deutlichen Schub der Institutionalisierung und Professionalisierung. In NRW wurde schließlich 1974 das Weiterbildungsgesetz verabschiedet, das strukturbildend wirkte.

Kommunale Pflichtaufgabe per Gesetz geregelt

Schon von Anfang an hatte die VHS als lokale Einrichtung einen engen Bezug zur Kommune und wurde durch das Weiterbildungsgesetz zu deren Pflichtaufgabe. Das Gesetz legte nicht nur ein Mindestangebot entsprechend der Einwohner*innenzahl fest, sondern gab auch eine Mindestbetriebsgröße und eine nach dem Angebotsvolumen bemessene Stellenzahl für hauptberufliches pädagogisches Personal vor. Die Finanzierung der Personalkosten durch das Land führte dazu, dass viele neue Stellen für pädagogische Mitarbeiter*innen geschaffen wurden. Zu ihren Aufgaben gehört bis heute die Programmplanung und -entwicklung. Die Lehrtätigkeit wird hingegen einer Vielzahl  von neben- und freiberuflichen Kräften übertragen.

Chancengleichheit als Herausforderung für die VHS

Wer hat, dem wird gegeben. Nach diesem sogenannten Matthäus-Prinzip funktioniert die Beteiligung an der Weiterbildung auch heute noch. Weiterbildung hängt daher erheblich von der Vorbildung ab und verstärkt bereits bestehende Bildungsunterschiede. Mit der Zielsetzung, soziale Ausgewogenheit herzustellen, wollten die Volkshochschulen dieser Tendenz entgegenwirken und Chancengleichheit fördern.
Doch in den 1980er- und 1990er-Jahren sorgte die Finanzkrise für deutliche Kürzungen der Landesmittel. Die Volkshochschulen versuchten, ihre Einnahmen durch höhere Entgelte für Teilnehmer*innen zu sichern und erschwerten damit den Zugang zu den verschiedenen Weiterbildungsangeboten erheblich.
Der Rückzug des Staates aus der Verantwortung und der Appell an die (finanzielle) Eigenverantwortung der einzelnen Person für ihre Bildung führte zur Ablösung pädagogischer Zielsetzungen durch betriebswirtschaftliche Prioritäten. Der Kostendeckungsgrad wurde Maßgabe bei der Veranstaltungsplanung, die VHS wurde zur Mitbewerberin auf dem Bildungsmarkt. Die Haushaltskonsolidierung zwang Kommunen zu massiven Einsparungen, Stellenabbau und höhe-ren Entgelten an den Volkshochschulen. Heute erfüllen die kommunalen Einrichtungen zwar mit Kursen zur Alphabetisierung und Grundbildung, zum Nachholen des Hauptschulabschlusses und Integrationskursen für Migrant*innen weiterhin ihren sozialen Auftrag. Möglich ist das aber nur durch die zunehmende Arbeitsverdichtung für das Personal.

Digitale Lernangebote können das Portfolio erweitern

Globalisierung und Digitalisierung sind schon jetzt nicht nur Themen von VHS-Veranstaltungen, sie fordern die Institutionen auch heraus: Die Volkshochschule vermittelt zum Beispiel nicht nur Sprachkenntnisse und damit Fähigkeiten zur Teilhabe und zur internationalen Kommunikation. Sie führt auch Lernende unterschiedlicher nationaler, ethnischer und kultureller Herkunft in einem achtsamen Umgang zusammen.
Damit auch Menschen unterschiedlicher sozia-ler Herkunft und verschiedener Generationen erreicht und beteiligt werden können, müssen über das Programmheft hinaus veränderte Ansprache- und Beratungsformen entwickelt werden. Soziale Integration gelingt beispielsweise auch in der Gesundheits- und der kulturellen Bildung, wenn die Inhalte anregend angeleitet und in gut ausgestatteten Räumlichkeiten vermittelt werden.
Gerade für eine Generation, die selbstverständlich mit digitalen Medien umgeht, müssen entsprechende Lernformen angeboten werden.  Digitales Lernen setzt also digitale Medien voraus. In der Praxis verbindet „blended learning“ den Präsenzunterricht in der Gruppe mit dem individuellen Lernen online. Ergänzend dazu, aber auch als originärer Platz des Austauschs für Lerngruppen, bilden sich online (geschlossene)Communitys. Onlinetutor*innen unterstützen die Kursteilnehmer*innen und beraten beim selbstgesteuerten Lernen.
Die digitale Kommunikationskultur mit Selbstlernzentren und Internetplattformen gehört also zur VHS-Arbeit unbedingt dazu. Sie wird Präsenzveranstaltungen keineswegs ersetzen. Digitales Lernen wird das soziale Lernen im unmittelbaren persönlichen Austausch nicht überflüssig machen. Vielmehr können digitale Angebote das bisherige Portfolio der VHS sinnvoll ergänzen und für potenzielle Interessierte attraktiver machen.

VHS braucht dringend mehr Personal und Ressourcen

Wenn es darum geht, das Versprechen „Bildung für alle“ einzulösen, versagt der Markt. Es bedarf deshalb der staatlichen und kommunalen Steuerung und Gestaltung. Nachdrücklich ist die öffentliche Verantwortung für die Struktur und die Arbeitsbedingungen in der Weiterbildung erneut einzufordern. Damit die Grundversorgung weiterhin gewährleistet werden kann, brauchen die Einrichtungen aber mehr Personal. Dazu gehört auch die Ablösung prekärer Honorararbeit der freiberuflichen Lehrkräfte, die „hauptberuflich“ für die VHS tätig sind, durch reguläre Arbeitsverhältnisse.
Sollen die Volkshochschulen als kommunale Weiterbildungszentren ihre soziale und programmatische Offenheit wieder erreichen, bedarf es deutlich mehr Ressourcen. Die Rücknahme der letzten Kürzungen und die zweiprozentige Dynamisierung der Finanzierung nach dem Weiterbildungsgesetz durch das Land im Haushalt 2019 ist zu begrüßen. Die strukturelle Unterfinanzierung der Weiterbildung wird damit aber noch nicht aufgehoben. Hierzu sind deutlich größere Schritte nötig.
Die GEW NRW fordert deshalb im Bochumer Memorandum eine mittelfristige Aufstockung im Umfang von einem Prozent des Bildungsetats.


Ulrich Jung
Mitglied des Fachgruppenausschusses Erwachsenenbildung der GEW NRW

Fotos: iStock.com / vm, argentum / photocase.de

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