Arbeitszeit: GEW NRW fordert weniger Unterrichtsverpflichtung

Gute Arbeit und Arbeitszeit

Ständige Überbelastung, zu wenig Zeit für die Vorbereitung des Unterrichts oder Gespräche mit Eltern und Schüler*innen – so sieht der Alltag für viele Lehrkräfte aus. Gute Arbeit heißt auch: ausreichende und nicht gesundheitsbelastende Arbeitszeit, um die Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen zu können. Nach den Schulstrukturveränderungen in NRW sowie den zusätzlichen Aufgaben für Inklusion und Integration ist das jedoch kaum mehr möglich. Eine Belastungssituation, an der sich dringend etwas verändern muss, meint die GEW NRW.

Die GEW NRW erreichen viele Beschwerden von Lehrkräften aller Schulformen zur Belastungssituation in den Schulen. Viele Personalversammlungen der Lehrkräfte fordern die Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung und eine deutliche Anhebung der Anrechnungsstunden, um besondere Belastungen gezielt auszugleichen. Die Bildungsgewerkschaft und ihre Personalräte setzen sich seit Jahren dafür ein, dass die vor über zehn Jahren versprochene Rückkehr zur alten Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche auch wahr gemacht wird. Leider entschied die Landesregierung anders: Erst entfristete sie die ursprünglich befristete Arbeitszeiterhöhung und mittlerweile lehnt sie eine Arbeitszeitreduzierung ab – begründet mit der Schuldenbremse und dem derzeitigen Lehrermangel. Diese Situation darf jedoch nicht auf dem Rücken und insbesondere nicht auf der Gesundheit der Beschäftigten ausgetragen werden! Die GEW NRW fordert:

  1. die Rückkehr zur alten Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche
  2. die Absenkung der Unterrichtsverpflichtung
  3. eine schulformgleiche Unterrichtungsverpflichtung in der Sekundarstufe I und II
  4. einen zusätzlichen Anspruch auf Unterrichts-entlastung für Lehrkräfte mit besonderen Aufgaben und Funktionen – etwa Lehrerräte – und Ansprechpartner*innen für Gleichstellungsfragen

Diese Forderungen werden gestützt von der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie durch eine aktuelle Arbeitszeituntersuchung der Universität Göttingen, die die GEW Niedersachsen in Auftrag gegeben hatte.

Rechtsprechung stärkt den Kampf für eine angemessene Arbeitszeit

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg vom 9. Juni 2015 erbrachte gegenüber der vorherigen Rechtsprechung deutliche Ansatzpunkte für eine neue rechtliche Bewertung der Lehrer*innenarbeitszeit. Zuvor hatte die niedersächsische Landesregierung im Juli 2013 angekündigt, die Arbeitszeit für Lehrkräfte im gymnasialen Bereich von 23,5 auf 24,5 Wochenstunden anzuheben. Die GEW und andere Bildungsverbände, Eltern- und Schüler*innenvertretungen übten massive Kritik, bis der Vorstoß der Landesregierung schließlich vor Gericht landete. Hier kassierte die Landesregierung eine juristische Niederlage: Das OVG bezog die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Fürsorgepflicht des Dienstherrn in seine Entscheidung ein und erklärte die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrkräfte für rechtswidrig. Der Grund: Der Dienstherr ist aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten, die Wochenarbeitszeit nicht auf ein Maß festzulegen, das die Beamt*innen übermäßig belastet oder das gar ihre Gesundheit gefährden kann. Das Gericht wirft der Landesregierung vor, dass sie lediglich die Unterrichtsverpflichtung und nicht auch die außerunterrichtlichen Tätigkeiten bewertet habe und auch keine Untersuchung der tatsächlichen Belastung stattgefunden habe.
In einem weiteren wichtigen Arbeitszeiturteil vom 16. Juli 2015 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass eine zeitanteilige Funktionstätigkeit auch dazu führen muss, dass Arbeitsanteile neu definiert werden müssen. Es müsse eine Gesamtbetrachtung erfolgen: Das Mehr in einem Bereich muss durch ein Weniger in einem anderen Bereich ausgeglichen werden. Dies bedeutet letztendlich, dass nicht nur bei Teilzeittätigkeiten für Funktionstätigkeiten eine Neubewertung vorgenommen werden muss – und damit auch eine Klärung, welche Arbeiten nicht mehr zu leisten sind. Auch generell muss eine Teilzeit- anders bewertet werden als eine Vollzeitbeschäftigung, wenn es um die Unterrichtsverpflichtung und die außerunterrichtlichen Tätigkeiten geht.

GEW NRW fordert weniger Unterrichtsverpflichtung

Studien belegen: Lehrer*innen sind überdurchschnittlich belastet

Bereits 1963 kamen Prof. Dr. Dr. Joseph Rutenfranz und Prof. Dr. Otto Graf in ihrer Untersuchung „Zur Frage der zeitlichen Belastung von Lehrkräften“ zu der Folgerung, dass eine Vernachlässigung der Erholungsmöglichkeiten des Wochenendes eine zweifellos gesundheitliche Gefährdung der Lehrer*innenschaft bedeutet. Bis zur Studie der Unternehmensberatung Mummert + Partner im Auftrag des nordrhein-westfälischen Schulministeriums von November 1999 gab es weitere Arbeitszeitstudien. Sie alle kamen zu einem übereinstimmenden Ergebnis, das die aktuellste Erhebung, durchgeführt im Schuljahr 2015 / 2016 von der Universität Göttingen im Auftrag der GEW Niedersachsen, nochmals auf den Punkt bringt: „Allen bisherigen bekannten empirischen Untersuchungen über die Lehrerarbeitszeit ist die Feststellung gemeinsam, dass die heute bestehenden Regelungen zu einer im Vergleich zu anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes erheblich höheren zeitlichen Belastung führen.“
Der Arbeitszeitstudie der GEW Niedersachsen liegt eine minutengenaue Erfassung der Arbeit von 2.869 Lehrer*innen an 255 Schulen zugrunde. Die Ergebnisse sind repräsentativ für Gesamtschulen, Grundschulen und Gymnasien und legen die zeitliche Belastung der Kolleg*innen detailliert offen: Die Arbeitzeit der Lehrkräfte liegt über dem Sollwert von 40 Stunden pro Woche, der für Verwaltungsbeamt*innen in Niedersachsen gilt. Im Durchschnitt wird an Gymnasien 3,05 Stunden, an Grundschulen 1,2 Stunden über dem Soll gearbeitet und allein am Gymnasium sind im untersuchten Zeitraum etwa 50.000 unbezahlte Überstunden pro Woche angefallen. Weitere zentrale Ergebnisse waren die enorme Menge unbezahlter Mehrarbeit von Teilzeitkräften in allen Schulformen und die fehlende Zeit für Vor- und Nachbereitung bei Vollzeitkräften.

Die Landesregierung muss ihrer Fürsorgepflicht gerecht werden

Die Verhältnisse in Niedersachsen und NRW sind vergleichbar. Deshalb müssen auch in der nordrhein-westfälischen Politik trotz Lehrkräftemangel und Haushaltslage, die derzeit übrigens gar nicht schlecht ist, notwendige Konsequenzen gezogen werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die aktuell beschlossene Änderung der Verordnung zur Ausführung des
§ 93 Absatz 2 Schulgesetz keine Verbesserungen der Lehrer*innenarbeitszeit enthält. Weder werden darin die Unterrichtsverpflichtungen gekürzt noch die Schulformen der Sekundarstufen I und II gleich behandelt. Schritte in die richtige Richtung sind die schrittweise Kürzung der  Klassenfrequenzrichtwerte, die Erhöhung der Leitungszeit und zusätzliche, einzelne Stellen an Berufskollegs für die Entwicklung der Onlinelehr- und -lernplattform LOGINEO NRW.
Angesichts der bisherigen Rechtsprechung hätte das Schulministerium die tatsächlichen Grundlagen, die seiner Einschätzung zugrunde liegen, in einem transparenten Verfahren sorgfältig ermitteln müssen. Dazu gehören nicht nur die Daten der Unterrichtsversorgung, sondern auch die tatsächliche Arbeitsbelastung der Lehrkräfte, die in den vergangenen Jahren eine deutliche Veränderung erfahren hat. Die höchstrichterliche Rechtsprechung fordert vom Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht eine genaue Prüfung seiner Arbeitszeitpolitik. Dies ist auch in seinem Sinne, damit nicht irgendwann Krankheit, Verweigerung und innere Kündigung um sich greifen und die Qualität von Schule aufs Spiel gesetzt wird. Das hat auch das Institut für interdisziplinäre Schulforschung aus Bremen nach dem Lüneburger Urteil konstatiert: „Jeder Betriebsleiter handelt klug, wenn er sein Personal wertschätzt und es angemessen einsetzt. Dann kann er es fordern und dann wird er auch gute Ergebnisse erzielen. Es ist an der Zeit, den  Einsatz der Lehrkräfte im Rahmen ihrer gesetzlichen Arbeitszeit so neu zu ordnen, dass die Qualität der Schule, der Arbeitszufriedenheit und Motivation und damit das Angebot an die Schüler für die Gestaltung ihrer Zukunft deutlich besser als heute wird.“

Ute Lorenz
Referentin für Beamt*innenrecht und Mitbestimmung der GEW NRW

Illustrationen: PureSolution / shutterstock.com, Foto: Arnd_Drifte / photocase.de

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