Soft Skills lernen im Projekt „Stadt, Land oder Fluss“

Shareducation-Projekt der Gesamtschule Langerfeld

Durch die Eifel wandern, Street-Art entwerfen oder ein Floß bauen – im neuen Projekt „Stadt Land Fluss“ (SLF) gehen die Achtklässler*innen der Gesamtschule Langerfeld an ihre Grenzen. Die Jugendlichen stellen sich ein Jahr lang einer selbst gewählten Herausfo(e)rderung und entdecken außerhalb ihrer Komfortzone neue, persönliche Fähigkeiten.

Über Berge kraxeln, mit einem selbstgebauten Floß gegen den Strom paddeln oder mit dem Elektronenmikroskop in fremde Welten eintauchen: Ganz egal, für welche Herausforderung sich die Schüler*innen der Gesamtschule Langerfeld in dem neuen Projekt „Stadt Land Fluss“ entscheiden – sie kommen heraus, sie fordern sich und die individuelle Förderung kommt dabei ganz von selbst.  
Entwicklungspsychologisch und neurobiologisch ist die Pubertät genau das Alter, in dem Erfahrungslernen besonders prägend ist. Mit der Auseinandersetzung mit der eigenen Position im Leben und in der Gesellschaft beginnt für die jungen Menschen die Suche nach sich selbst und nach den eigenen Fähigkeiten vor allem im Hinblick auf ihre mögliche berufliche Orientierung. An dieser Stelle setzt das Projekt an und bietet den rund 170 Schüler*innen der achten Klassen verschiedene Herausforderungen an. Der Fokus liegt darauf, sie intellektuell, konditionell, sozial und emotional aus ihren persönlichen Komfortzonen herauszuholen und ihre Grenzen zu verschieben.
Wählen können die Schüler*innen zwischen einer Survival-, Berg-, Floß- oder Fahrradexpedition, einer sozialen Herausforderung in Zusammenarbeit mit den Wuppertaler Tafeln, einer künstlerischen oder musikalischen Herausforderung im Zeichen von Street-Art, einer journalistischen Herausforderung in Zusammenarbeit mit dem Westdeutschen Rundfunk in Köln oder einer wissenschaftlichen Expedition in Kooperation mit dem naturwissenschaftlichen Zweig der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.

Schüler*innen erweitern ihre persönlichen Fähigkeiten

Durch die Art der Herausforderung, welche die Schüler*innen gemeinsam und selbstständig ein Jahr lang vorbereiten und anschließend bewältigen, lernen sie, wie Entscheidungen und Wirkungen zusammenhängen sowie Entwicklungen auf ihr eigenes Handeln zu beziehen. Sie tragen als Handelnde direkte Verantwortung und müssen die heute erforderlichen Soft Skills wie Selbstorganisation, Eigenverantwortlichkeit, Selbstständigkeit, Problemlösefähigkeit, Teamfähigkeit und Stressresistenz einsetzen und weiterentwickeln. Gleichzeitig erfahren sie ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit. Dadurch werden die Schüler*innen handlungsfähiger und können in Situationen wie Klausurstress oder Vorstellungsgesprächen zielgerichteter, selbstbewusster und lösungsorientierter agieren.
Der Ausbau der genannten Fähigkeiten bedeutet eine Verbesserung der Lernsituation in der Schule, geht aber noch weit darüber hinaus: Das Gelernte wirkt lebenslang und wird nicht nur in der Berufswelt geschätzt und gesucht, sondern ist auch für die persönliche Entwicklung von großem Vorteil. Welches Potenzial in der Herausforderung liegt, haben Reformpädagog*innen wie Kurt Hahn und Maria Montessori oder die Initiator*innen des Projekts „Schule im Aufbruch“ schon lange erkannt und in ihren pädagogischen Konzepten angeboten. Warum ist das Langerfelder Modell also neu? Was unterscheidet „Stadt Land Fluss“ von bisherigen Ideen?

Projekt ist gleich vierfach innovativ

Erstens ist das Projekt an alle Schüler*innen gerichtet und überall umsetzbar. Dank der Struktur und des Engagements der Kolleg*innen sowie der lokalen und administrativen Partner gewährleistet das Langerfelder Modell, dass Schüler*innen aller sozialen Herkünfte am Projekt teilnehmen können und zwar unabhängig von der Finanzkraft ihrer Familien. Zudem machen alle Jugendlichen der inklusiven Klassen und der internationalen Förderklassen mit, sodass Integration und Inklusion integrale Bestandteile des Projekts sind.
Zweitens ist die intensive Auseinandersetzung mit der Wirksamkeit des Projekts relevant. So begleitet Bildungsforscher Dr. Matthias Rürup die Schule für eine nationale Studie der School of Education der Bergischen Universität Wuppertal bei der Umsetzung. Die Zusammenarbeit führte zu einem gezielten Lehrangebot, das die Realisierung von Herausforderungsprojekten an Regelschulen in der Lehramtsausbildung ab dem Sommersemester 2019 zum Inhalt hat.
Die größte Innovation aber ist mit dem Begriff „Shareducation“ – also Bildung teilen – verbunden. Die Idee, eine Herausforderung für eine Klasse, einen Jahrgang oder gar für die ganze Schule zu organisieren, ist eine anspruchsvolle Aufgabe für Organisator*innen und das System Schule: Ablaufplanung, Material, Finanzierung, Sicherheitserlasse, Organisation, Betreuungsschlüssel, Elternbriefe und vieles mehr wollen bedacht werden. Ein enormer Aufwand, der Zeit, Personal und Ressourcen bindet. Doch was wäre, wenn all das bereits vorbereitet wäre? Wenn man das Outdoormaterial zu einem sozialverträglichen Preis mieten könnte? Und wenn die Organisation, Dokumentation und Kommunikation mit den Eltern einfach über eine bereits vorhandene und für die Schule nutzbare Homepage zur Verfügung stünden?
Dafür wurde 2018 das Herausforderungsnetzwerk SLF gegründet, das über die Konsequenzen und die Herausforderungen bei der Etablierung eines solchen Projekts im Schulalltag informiert. Ein spezielles Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte setzt sich mit Finanzierungen, Sponsoring und Qualifizierung für verschiedene Angebote auseinander. In einem digitalen Austauschbereich finden die Mitglieder des Netzwerks vorformulierte Elternbriefe, Wanderrouten, Erfahrungsberichte, Sponsorenschreiben und anderes Material.
Darüber hinaus unterstützt das Netzwerk Schulen beim Aufbau weiterer Netzwerke. So profitieren die Schulen einer Region sozialverträglich vom vorhandenen Material.
Dies führt zur vierten Innovation: dem deutschlandweit ersten Schüler*innenfirmen-Franchise-System namens „stuffal“. Die Firma betreibt einen Pool, aus dem jede*r Equipment für seine nächste Eifelexpedition, Floßfahrt oder Bike-Tour ausleihen kann. Das Warenwirtschaftsprogramm der Homepage ermöglicht termingenaues Reservieren der gewünschten Ausrüstungen und macht es den Mitgliedern denkbar einfach, ihre Projekte umzusetzen. Ist man Schüler*in einer Netzwerkschule, erhält man einen Sozialtarif, der die Ausleihgebühr erheblich senkt.

Schüler*innen pflegen einen eigenen Materialpool

Der Materialpool von SLF wird von Schüler*innen organisiert, geleitet, gepflegt und ausgebaut. Selbst das Warenwirtschaftssystem des Pools wurde von ihnen programmiert und eingerichtet. Neben der Betreuung der Kundenkontakte, Terminvergabe und Ausleihe kümmern sich die Schüler*innen der Firma um die Instandsetzung aller Ausleihgüter, deren Katalogisierung, die Organisation des Lagersystems und den Ausbau durch kreative Ideen für Neuanschaffungen. Daneben entwickeln sie eigene Geschäftsideen wie Jugendcamps, digitale Dienstleistungen oder die Gestaltung von Werbeaufträgen. Im Rahmen des Netzwerks entstehen so an SLF-Standortschulen bundesweit neue Materialpools, die ihrerseits Schüler*innenfirmen im Sinne eines Franchise-Systems bilden können.

Jugendliche entwickeln sich persönlich und in der Gesellschaft weiter

SLF orientiert sich mit seinem Profil und seinen Zielen an den Biografien seiner Schüler*innen. Alle Beteiligten bekommen eine in jeder Hinsicht individuelle und lebensnahe Herausforderung und damit die Möglichkeit, sich persönlich weiterzuentwickeln. Außerdem haben die Schüler*innen die einmalige Möglichkeit, selbst gestaltend und nachhaltig auf ihre Schullaufbahn einwirken zu können. Darüber hinaus lernen die jungen Menschen, sich sicher im nachhaltigen Umgang mit anderen Menschen und ihrer Umwelt zu bewegen sowie sich als Teil einer erfolgreichen, inklusiven, integrativen und kulturoffenen Gesellschaft zu entwickeln. Wer diese Ziele verfolgen möchte und Unterstützung braucht, ist im SLF-Netzwerk genau richtig.


Mathias Hugo Pfeiffer
Netzwerkkoordinator an der Gesamtschule Langerfeld

Fotos: Gesamtschule Langerfeld

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