Beamt*innenstreik ist ein Menschenrecht

Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht

In einer siebenstündigen mündlichen Verhandlung hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am
17. Januar 2018 das Streikverbot für Beamt*innen geprüft – fast neun Jahre nach den ersten Klagen und
fast vier Jahre nach Einreichung der Verfassungsbeschwerde. In der Verhandlung waren die Fälle von vier Lehrkräften zusammengefasst worden. Sie hatten in ihren Ländern als Beamt*innen an Streiks der GEW teilgenommen und klagen nun gegen die verhängten Disziplinarmaßnahmen – darunter auch ein Fall
aus NRW.

Monika Dahl aus NRW war bis vor einigen Jahren leidenschaftliche Lehrerin, zeitweise auch stellvertretende GEW-Landesvorsitzende. Eine Kombination, die der damaligen Beamtin 2009 zum Verhängnis wurde, denn ihre Teilnahme an Streiks führte zu einer disziplinarischen Maßnahme. Nicht nur deswegen entschied sie, aus dem Beamt*innenverhältnis in eine selbstständige Tätigkeit zu wechseln. Mit Unterstützung der GEW NRW klagt Monika Dahl seitdem für das Streikrecht von Beamt*innen. Zuletzt hatte sich in ihrem Fall das Bundesverwaltungsgericht mit dem beamt*innenrechtlichen Streikverbot und mit dem hierzu divergierenden Völkerrecht auseinandergesetzt: Demnach stehen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamt*innentums (Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz – GG), aus denen die Alimentation und die Treuepflicht der Beamt*innen gegenüber dem Staat abgeleitet werden, Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, unvereinbar gegenüber, der die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sichert sowie deren Einschränkungen regelt. „Daher verstieß die Teilnahme der Klägerin an den Warnstreiks (zwar) gegen das Verbot nach Artikel 33 Absatz 5 GG, war aber durch Artikel 11 EMRK gedeckt“, schlussfolgerte das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2014. Gegen diese Entscheidung legte Monika Dahl mit Hilfe der Rechtsanwält*innen Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Dort soll die Frage nach dem Beamt*innenstreikrecht nun höchstrichterlich geklärt und der Widerspruch zwischen deutschem und europäischem Recht aufgelöst werden.

Erhebliche Breitenwirkung, aber keine Gefahr für das Berufsbeamt*innentum

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht bezogen neben den Beschwerdeführer*innen auch Bund, Länder sowie die Gewerkschaften GEW, DGB, ver.di und dbb Position. Im Mittelpunkt der Debatten standen Fragen zur Koalitionsfreiheit und zu den hergebrachten Grundsätzen
des Berufsbeamt*innentums, zum menschenrechtlichen Charakter des Streikrechts sowie zu möglichen praktischen Folgen einer veränderten Auslegung des Grundgesetzes.
Die Frage nach dem Beamt*innenstreikrecht sei einfach gestellt, aber schwer zu beantworten, betonte
Prof. Dr. Dr. Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Zweiten Senats, gleich zu Beginn der Verhandlung. Das Grundgesetz treffe dazu weder in Artikel 9 Absatz 3,
der die Koalitionsfreiheit regelt, noch in Artikel 33 Absatz 5, in dem es um die hergebrachten Grundsätze
des Berufsbeamt*innentums geht, eine ausdrückliche Regelung. Verfassungsrechtler*innen lehnen das Streikrecht bisher mehrheitlich ab. Einen neuen Impuls habe die Debatte durch die Menschenrechtsprechung erfahren. Insofern müsse auch das Verhältnis der Menschenrechtskonvention zum Grundgesetz geklärt werden. Andreas Voßkuhle machte deutlich, dass die Anerkennung eines Streikrechts eine erhebliche Breitenwirkung haben könne: Betroffen seien neben den 600.000 verbeamteten Lehrkräften rund eine weitere Million Beamt*innen. Die Zukunft des Berufsbeamt*innentums sieht der Präsident des Bundesverfassungsgerichts durch ein Streikrecht jedoch nicht bedroht.
Diese Auffassung teilt die GEW: Auch wenn die Verbeamtung weiterhin für viele Menschen attraktiv ist, wurden viele Vorteile des Beamt*innenstatus in den vergangenen Jahren reduziert. Die Arbeitszeit wurde erhöht, die Besoldung wurde von den Tariferhöhungen abgekoppelt, viele Länder haben das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen. Diese Verschlechterungen konnten die Landesregierungen leicht durchsetzen – gerade weil Beamt*innen das Streikrecht fehlt. Dass sich parallel auch die Beschäftigungsbedingungen der tarifbeschäftigten Lehrkräfte verbessern müssten, ist für die GEW selbstverständlich. Sie kämpft gegen die Spaltung zwischen Angestellten und Beamt*innen, damit beide Beschäftigtengruppen ihre Interessen für bessere Arbeitsbedingungen durch Streiks durchsetzen können. Auch in der Diskussion nach der Verhandlung stellten die DGB-Gewerkschaften klar: Sie stehen zum Berufsbeamt*innentum. Seine Ausgestaltung sei aber durch autonome Vereinbarungen möglich. Schließlich seien Streiks ein wesentlicher Bestandteil des demokratischen Gemeinwesens.

Nationales Recht und Völkerrecht stehen im Widerspruch

In der Begründung ihrer Verfassungsbeschwerde machen die DGB-Gewerkschaften deutlich, worum es bei der Diskussion um die Koalitionsrechte von Beamt*innen im Kern geht: um das widersprüchliche Verhältnis von nationalem Recht und Völkerrecht sowie um die Konsequenzen, die sich aus den einschlägigen völkerrechtlichen Regelungen, genauer aus Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, für das nationale Recht ergeben. Für DGB, ver.di und GEW erläuterte Monika Schlachter, Professorin der Universität Trier, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Streikverbote für Beamt*innen in der Türkei auf den öffentlichen Dienst in  Deutschland übertragbar seien. Ausdrücklich von der Forderung nach einem Beamt*innenstreikrecht ausgenommen seien Polizei, Streitkräfte und Staatsverwaltung, also Kernbereiche der hoheitlichen Verwaltung.
Die grundgesetzlich verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamt*innentums verbieten Streik nicht ausdrücklich, so die Position von GEW, ver.di und DGB. In Artikel 9 Absatz 3 GG heißt es zudem: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“ Dazu gehört laut Gesetzestext ausdrücklich auch das Recht, Arbeitskämpfe zu führen, Gewerkschaften zu gründen und für seine Arbeitsbedingungen zu streiken.

Erzeugt ein Streikrecht Beamt*innen erster und zweiter Klasse?

Diskussionsbedarf sah das Gericht in der Auslegung des Begriffs der „hoheitlichen“ Aufgaben. Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière vertrat in der Verhandlung den Bund. Seiner Auffassung nach ließen sich hoheitliche und nichthoheitliche Tätigkeiten nicht eindeutig voneinander abgrenzen. Nicht nur Polizei, Streitkräfte und Staatsverwaltung erfüllten demnach hoheitliche Aufgaben, sondern beispielsweise auch Beamt*innen im IT-Bereich. Sie verantworteten die Sicherheit der elektronischen Infrastruktur des Staates ebenso wie den Datenschutz – sensible Aufgaben, denen ein Streikrecht widerspreche. Ein derart ausgestaltetes Streikrecht räume folglich Beamt*innen mit nichthoheitlichen Aufgaben mehr Rechte ein als Beamt*innen, die im Kernbereich der staatlichen Verwaltung tätig sind. Diese würden dann möglicherweise schlechter vergütet.
GEW-Rechtsanwalt Dr. Hartwig Schröder verwies auf einen bewährten Lösungsansatz: Auch die Ergebnisse der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst werden regelmäßig auf die Besoldung der Beamt*innen übertragen. Warum sollte eine solche Übertragung nicht auch von der einen auf die andere Beamt*innengruppe möglich sein? Aus gewerkschaftlicher Sicht sei dies eine Frage der Solidarität, ergänzte ver.di-Bundesbeamt*innensekretär Nils Kammradt. Insofern sei eine Schlechterstellung ausgeschlossen.

Verstoßen Beamt*innenstreiks gegen das Treueverhältnis?

Thomas de Maizière verband das Streikverbot darüber hinaus mit dem Alimentationsprinzip. Es verpflichtet den Dienstherrn, Beamt*innen lebenslang eine amtsangemessene Besoldung zu gewähren, und ist verknüpft mit dem Treueverhältnis der Beamt*innen gegenüber dem Staat. Das Streikverbot zähle zu den Grundpfeilern des Berufsbeamt*innentums. Dessen Gesamtsystem verliere seinen prägenden Charakter, wenn einigen Beamt*innen das Arbeitskampfrecht zugestanden werde. Wer ein Streikrecht für Beamt*innen fordere, betreibe seiner Auffassung nach Rosinenpickerei.
Die Vertreter*innen von Bund und Ländern sowie der dbb führten aus, Beamt*innenstreiks seien im Grundsatz politische Streiks, weil Tarifverträge für Beamt*innen nicht möglich seien, sondern der politische Gesetzgeber gezwungen werden solle, bestimmte gesetzliche Regelungen zu erlassen. Dass Beamt*innen die Koalitionsfreiheit zustehe, wurde nicht bestritten, dies gelte aber nicht für das Streikrecht.
Beamt*innenstreik sei weder politisch noch ein Treuebruch, da politische Streiks keinen Bezug zum Beschäftigungsverhältnis hätten, führte hingegen Prof. Dr. Jens M. Schubert von ver.di aus. Beamt*innenstreiks zielten vielmehr auf konkrete Verbesserungen beispielsweise der Vergütung, der Arbeitszeit oder des Gesundheitsschutzes. Streiks hätten eindeutig einen Bezug zum Dienstherrn, richteten sich jedoch nicht gegen ihn. Sie seien stattdessen ein Bekenntnis, zum Dienstverhältnis zu stehen, die Einkommens- und Beschäftigungsbedingungen aber verbessern zu wollen.

Entscheidung offen

Ein Ergebnis gab es am Ende der Verhandlung nicht – so ist es beim Bundesverfassungsgericht üblich. Mit einer Verkündung eines Urteils ist erst in einigen Monaten zu rechnen. Dass die Richter*innen sich dann gegen die bisherige verfassungsrechtliche Rechtsprechung stellen werden, ist eher nicht zu erwarten. Spannend bleibt aber, wie sie die Konfrontation mit dem Völkerrecht auflösen wollen.
Für die Gewerkschaften geht es im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht um die Einforderung eines Menschenrechts, das weder den Schulbetrieb lahmlegt noch den Bildungsauftrag gefährdet. Die GEW und ihre mit ihr streitenden Mitglieder fordern das Beamt*innenstreikrecht, damit sich auch Beamt*innen für ihre eigenen Arbeitsbedingungen einsetzen können. Dabei geht es insbesondere um die Arbeitsbedingungen in den Schulen, den dortigen Arbeits- und Gesundheitsschutz und den Schutz vor weiterer Entgrenzung der Arbeitszeit durch immer neue Aufgaben – zentrale Problemstellungen am Arbeitsplatz Schule, für deren Verbesserung sich auch beamtete Lehrkräfte streitbar einsetzen wollen.

Ute Lorenz
Referentin für Beamt*innenrecht und Mitbestimmung der GEW NRW

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