Volksbegehren für G9

Der falsche Weg

In den Rathäusern der Kommunen in Nordrhein-Westfalen liegen seit Anfang Februar 2017 die Listen zur Unterschrift für das von der Elterninitiative „G9-jetzt! in NRW” initiierte Volksbegehren aus. Das Ziel: An Gymnasien in NRW soll das Abitur wieder nach einer Regelschulzeit von 13 Jahren abgelegt werden. Doch die GEW NRW warnt davor zu unterschreiben – ebenso wie die Landeselternschaft der integrierten Schulen, die Schulleitungsvereinigung Gesamtschulen und die Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschulen, die Landesschüler*innenvertretung und viele Stadtschulpflegschaften. Denn hinter der Forderung nach G9 verbirgt sich viel mehr.

Damit der Landtag über den von der Initiative vorgelegten Gesetzentwurf entscheiden muss, werden knapp 1,1 Millionen Unterschriften benötigt. Allen, die das Volksbegehren unterschreiben, sollte aber klar sein: Der Wortlaut des Gesetzentwurfs ist im Laufe des Verfahrens nicht veränderbar und kann damit nicht verbessert werden. Ein ordentliches parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren findet zu diesem Gesetzentwurf nicht statt, eine Anhörung von Gewerkschaften, Eltern-, Schüler*innen- und Lehrer*innenverbänden ist ausgeschlossen. Wenn der Landtag den Gesetzentwurf ablehnt, wird er zum Gegenstand einer Volksabstimmung – ebenfalls in unveränderter und unveränderbarer Fassung.
Daher ist es wichtig, sich inhaltlich mit dem Gesetzentwurf auseinanderzusetzen. Vordergründig geht es allein um die Wiedereinführung von G9. Ein Blick auf das, was die Initiative erreichen möchte und welche Folgen das für unser Schulsystem, die Schüler*innen sowie die Lehrkräfte hat, macht aber deutlich: Es geht um viel mehr!

Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen droht der Verlust von Lernzeit

Käme der Gesetzesvorschlag, der jetzt zur Abstimmung steht, durch, so wären alle Gymnasien ausnahmslos dazu verpflichtet, zu G9 zurückzukehren. Das hat nicht nur Folgen für die Gymnasien, sondern auch für alle anderen weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen. Denn zur Finanzierung der Wiedereinführung von G9 schlägt die Initiative vor, dem § 12 des Schulgesetzes folgenden Absatz 5 anzufügen: „Der Pflichtunterricht für die Schülerinnen und Schüler beträgt in der Sekundarstufe I maximal 180 Jahreswochenstunden.“
Für Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen gilt dieser Paragraf analog und würde damit eine Reduzierung der Stundentafel um acht Stunden und eine Unterrichtskürzung um fast fünf Prozent in der Sekundarstufe I bedeuten. Sämtliche Ergänzungsstunden, die die Schulen in ihre Schulprogramme zur Schärfung ihrer Schulprofile und Konzepte zur individuellen Förderung eingearbeitet haben, entfielen. Diese Lernzeit ginge den Schüler*innen verloren. Gerade angesichts der enormen Herausforderungen, denen sich Schulen in Zeiten von Inklusion, Integration und einer sich verändernden Schüler*innenschaft gegenübersehen, ist das aus Sicht der GEW NRW nicht verantwortbar. Nach diesem Modell würden 60 Prozent der nordrhein-westfälischen Schüler*innen durch Kürzung ihrer Lernzeit für die Wiedereinführung von G9 bezahlen.

Die Landtagswahl ist der richtige Ort für eine Reform des Gymnasiums

Im Vorfeld der Landtagswahl im Mai 2017 verankern alle Parteien Konzepte für eine Weiterentwicklung des Gymnasiums in ihren Wahlprogrammen. Gerade Befürworter*innen von mehr Zeit und weniger Stress an Gymnasien können daher darauf vertrauen, dass ihr Anliegen hier berücksichtigt und sich nach der Wahl etwas ändern wird. Dabei ist ein geordnetes Gesetzgebungsverfahren viel besser geeignet, um unerwünschte Nebenwirkungen und nicht zu Ende gedachte Veränderungen zu vermeiden. Gerade bei der Einführung von G8 ist es zu genau solchen Fehlern gekommen, die erst später ihre volle negative Wirkung entfaltet haben. So hat die Verkürzung der Sekundarstufe I auf fünf Jahre dazu geführt, dass an Gymnasien Abschlussmöglichkeiten nach Klasse 10 fehlen und in allen Schulformen der Wahlpflichtbereich in die sechste Jahrgangsstufe vorverlegt wurde. Die GEW NRW setzt sich für eine Reform ein, die die Sekundarstufe I an den Gymnasien wieder auf sechs Jahre verlängert. In Verbindung damit strebt die Bildungsgewerkschaft eine Reform der gymnasialen Oberstufe an, die in modularisierter Form in zwei bis vier Jahren durchlaufen werden kann. Die Einführung der zweiten Fremdsprache und des Wahlpflichtbereichs sollte wieder in die Jahrgangsstufe 7 verlegt werden. Dieses Modell vereinbart den Wunsch nach weniger Stress und mehr Zeit auf der einen Seite mit einer möglichen Individualisierung der Schulzeit in der Oberstufe auf der anderen Seite. Die sechsjährige Sekundarstufe I bildet für alle Schüler*innen – egal an welcher Schulform – eine vergleichbare Grundlage und erhält die Durchlässigkeit. Die GEW NRW setzt sich zudem für den Ausbau des Ganztags an allen Schulen ein, da er mehr Chancengleichheit ermöglicht

Maike Finnern
Stellvertretende Vorsitzende der GEW NRW

Foto: birdys/photocase.de

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