Kitaqualität bleibt auf der Strecke

Im Gespräch mit Norbert Hocke

Die Zahl der Kitaplätze hat sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Damit die pädagogische Qualität nicht darunter leidet, fordert die GEW verbindliche Standards – auch für NRW. Die nds sprach mit Norbert Hocke, GEW-Vorstandsmitglied für den Bereich Jugendhilfe und Sozialarbeit, über frühkindliche Bildung und die Vorteile eines neuen, bundesweiten Kitaqualitätsgesetzes.

nds: In den vergangenen Jahren sind die Kitaplätze stark ausgebaut worden. Warum müssen wir jetzt über Kitaqualität sprechen?

Norbert Hocke: Nicht erst seit der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz hat die GEW immer wieder die Qualität in den Tageseinrichtungen für Kinder angemahnt. Schon mit der Untersuchung „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung“ von Prof. Dr. Susanne Viernickel aus dem Jahr 2010 hat die GEW die Qualitätsfrage der Ausbauphase gleichgestellt. Die Kolleg*innen wollen mit ihrer Ausbildung und ihrem Engagement vieles umsetzen, aber die Rahmenbedingungen – wie die unzureichende Erzieher*innen-Kind-Relation, mangelnde mittelbare pädagogische Arbeitszeit und zu große Gruppen – sprägen den Alltag. Diese Arbeitsbedingungen waren auch im alten Kinderbildungsgesetz (KiBiz) nicht gut geregelt. Spätestens seit der Untersuchung „Strukturqualität und Erzieher*innengesundheit in Kindertageseinrichtungen“ (STEGE) von Susanne Viernickel für NRW müsste allen politisch Verantwortlichen klar sein, dass nur allein mit dem Kitaplatzausbau Kindern, Eltern und Erzieher*innen nicht geholfen ist.

Wie könnte ein bundeseinheitliches Kitaqualitätsgesetz, wie die GEW es fordert, zu einer besseren Qualität in der frühkindlichen Bildung beitragen?  

Ein bundeseinheitliches Kitaqualitätsgesetz bezieht sich „nur“ auf die Strukturqualität. Wir wollen den Trägern, den Ländern und den Kommunen als GEW nicht vorschreiben, wie die Prozessqualität und die pädagogische Qualität zu gestalten sind. Bei der Strukturqualität muss es aber bundesweit verbindliche Standards geben, in denen die Erzieher*innen-Kind-Relation, die mittelbare pädagogische Arbeitszeit, die Freistellung der Leitungskräfte von der Gruppenarbeit, ein verbindlicher Schlüssel für die Fachberatung und die Frage der Aus-, Fort- und Weiterbildung geregelt sind. Wissenschaftliche Parameter und nicht die jeweilige Kassenlage müssen Grundlage dafür sein. Diese Parameter sind nun in den Zwischenbericht „Frühe Bildung weiterentwickeln und finanziell sichern“ des Bundesfamilienministeriums und der Jugend- und Familienminister-Konferenz vom November 2016 eingeflossen.
Wichtig bei der Berechnung des Personals für die Erzieher*innen-Kind-Relation ist, dass die Krankheitstage und die mittelbare pädagogische Arbeitszeit einberechnet werden sowie die Fort- und Weiterbildung. Der entscheidende Punkt ist die Finanzierung durch den Bund. Berechnungen nach einer deutlichen Verbesserung der Erzieher*innen-Kind-Relation würden sich auf circa zehn Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Dies wird nicht von heute auf morgen möglich sein, aber in einem Qualitätsentwicklungsgesetz könnten in einem Zeitraum von etwa acht Jahren diese Strukturqualitätsmerkmale umgesetzt werden. Die Länder haben bei der Umsetzung die Möglichkeit, die Reihenfolge selbst zu bestimmen. Finanziert werden kann das entweder über eine Bundesstiftung oder durch Änderung des Grundgesetzes, laut Gutachten von Prof. Dr. Joachim Wieland im Auftrag von AWO, Caritas, Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder und GEW.

Und wie lassen sich die Forderungen nach mehr Qualität auf NRW herunterbrechen? Warum brauchen wir auch hier ein neues Gesetz?

Die Überarbeitung des KiBiz ist dringend notwendig, da in dem bisherigen Gesetz immer nur Anforderungen an die Kolleg*innen beschrieben sind. Es ist Zeit, dass diese Anforderungen mit einer Erzieher*innen-Kind-Relation untermauert werden. Es kann nicht sein, dass im Krippenbereich bei den Zwei- bis Dreijährigen einzelne Erzieher*innen bis zu fünf oder sechs Kinder bilden und betreuen. Dem Land NRW kann durch ein Kitaqualitätsentwicklungsgesetz zusätzliches Geld für den Landeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Zurzeit wehren sich die Länder gegen die finanzielle Beteiligung des Bundes an der Kitaqualität. Spätestens bei Inkrafttreten der Schuldenbremse sollte das Bundesgeld den Landeshaushalt entlasten dürfen. Es geht um die Unterstützung der alltäglichen Arbeit pädagogischer Fachkräfte in Kitas und Krippen. Deshalb sollte die Veränderung im KiBiz mit den Kolleg*innen gemeinsam erarbeitet werden

Die Fragen für die nds stellte Joyce Abebrese.

Foto: markusspiske/photocase.de

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