Höchste Zeit für eine Reform

Akkreditierung von Studiengängen

Am 18. März 2016 hat das Bundesverfassungsgericht einen weitreichenden Beschluss zur Akkreditierung von Studiengängen veröffentlicht: Demnach ist das nordrhein-westfälische Verfahren, nach dem Studiengänge durch Agenturen „nach den geltenden Regelungen“ akkreditiert werden müssen, mit dem Grundgesetz unvereinbar. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften begrüßen diesen Beschluss.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts greift das seitens der Gewerkschaften beklagte Demokratiedefizit auf und fordert eine verbindliche rechtliche Regelung insbesondere der Ziele, Mindeststandards, Verfahren, Beteiligungsrechte, Kriterien und der Rechtsform der Entscheidungen der Akkreditierung.
Wer nimmt bislang Einfluss auf das Akkreditierungsverfahren, die Struktur, die Qualität und die Ausrichtung von Bachelor- und Master-studiengängen und somit auf die Angebotsvielfalt der akademischen Berufsausbildungen?

  1. das Europäische Parlament,
  2. der Rat der Europäischen Union,
  3. die Kultusministerkonferenz (KMK),
  4. die Hochschulrektorenkonferenz (HRK),
  5. der Wissenschaftsrat,
  6. das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF),
  7. die 16 Landeswissenschaftsministerien,
  8. die Fachministerien der Bundesländer, die zumindest indirekt über die durch sie finanzierten Forschungsprojekte Einfluss auf die Ausbildungsinhalte und Besetzung der Lehrstühle nehmen,
  9. der deutsche Akkreditierungsrat,
  10. der Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen,
  11. die Akkreditierungsagenturen AAQ, ACQUIN, AHPGS, AKAST, AQ Austria, AQAS, ASIIN, evalag, FIBAA und ZEvA mit ihren jeweiligen Akkreditierungskommissionen,
  12. die wissenschaftlichen Fachgesellschaften,
  13. die Hochschulleitungen der privaten und öffentlichen Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien,
  14. gegebenenfalls deren Hochschulräte,
  15. deren Senate und
  16. die Fakultäten mit ihren gewollt spezifischen und individuellen Profilen.

Eine Vielfalt, die kaum zu steuern ist

Insgesamt gibt es laut Deutschem Studentenwerk aktuell circa 14.500 Studiengänge, von denen etwa 8.700 grundständig sind und zu einem ersten Hochschulabschluss führen. In etwa 5.800 Studiengängen kann ein weiterführender Hochschulabschluss erworben werden.
Hierbei werden die drei- bis fünfjährigen Bachelor- sowie die ein- bis zweieinhalbjährigen Masterstudiengänge in das European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS) umgerechnet. Beide Varianten gibt es als Voll- oder Teilzeitstudiengang, berufsbegleitend oder berufsintegriert, mit integrierter Berufsanerkennung und/oder nachträglicher Anerkennung. Und nicht zu vergessen: Sowohl Bachelor als auch Master gibt es jeweils mit dem Zusatz „of Science“ oder „of Arts“ – daneben existieren für Jura und Medizin weiterhin die alten Staatsexamina.
Diese strukturelle, kaum zu steuernde Angebotsvielfalt entstand viel zu häufig in Verhandlungen hinter geschlossenen Türen, ohne eine öffentliche oder politisch legitimierte Beteiligung. Oft genug sogar ohne die Beteiligung der gemeinsamen Arbeitsgruppe „Fortführung des Bologna-Prozesses“ von KMK und BMBF, in der neben Bund und Ländern auch Interessenorganisationen, wie das Deutsche Studentenwerk oder die Arbeitgebervereinigung BDA, aber eben auch der Dachverband der Studierendenvertretungen fzs sowie die GEW vertreten sind – und das, obwohl die „Stakeholder“-Beteiligung zu den Grundsätzen des Bologna-Prozesses gehört.

Akkreditierungssystem reformieren!

Da die bisherigen Regelungen zur Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen verfassungswidrig sind und es für sie keine ausreichende gesetzliche Grundlage gibt, sollte nun die Chance gewahrt werden, das Akkreditierungssystem und den Outcome grundlegend zu reformieren. Die GEW fordert dazu auf, ein umfassendes Qualitätsverständnis zum Maßstab des Verfahrens zu erheben. Hierbei sollten auch die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden sowie faire Beschäftigungsbedingungen von DozentInnen eine Voraussetzung für gute Hochschullehre sein. KMK und HRK scheinen sich bereits einig zu sein, dass das zukünftige Qualitätssicherungsverfahren über einen Staatsvertrag geregelt wird. Unterhalb dieses Vertrags soll es „ländergemeinsame Strukturvorgaben“ geben. Hier werden die eigentlichen Ausführungsbestimmungen liegen. Die Rolle der bisher zehn Akkreditierungsagenturen wird dabei neu definiert und sie werden Dienstleister des Akkreditierungsrates, beim dem allein und ausschließlich das Entscheidungsrecht liegen wird. Die Option zur Wahl zwischen einer Programm- oder Systemakkreditierung wird wohl auch weiterhin möglich sein. Auf jeden Fall sollte das neue Akkreditierungsverfahren verhindern, dass es 2020 22.000 Studiengänge mit unterschiedlichsten Rahmenbedingungen gibt. 

Ralf Siegel
stellvertretender Departmentleiter Pflegewissenschaft an der Universität Witten/Herdecke

Foto: view7 / photocase.de

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