Bildungseinrichtungen zeitgemäß gestalten

Digitalisierung in der Bildung: Leitbild der Landesregierung

Lernen mit der App? Informatik als Pflichtfach? Jeder Schülerin und jedem Schüler ein eigenes Tablet? Wie wirkt sich Digitalisierung auf Kitas, Schulen, Hochschulen und die Weiterbildung aus? Welche Veränderungen bringt sie für Lehrende und deren Arbeitsbedingungen? Konzepte, wie digitale Bildung gestaltet werden kann, werden dringend gebraucht. Nach der Kultusministerkonferenz hat nun auch die nordrhein-westfälische Landesregierung in einem Strategiepapier Leitlinien zur Digitalisierung formuliert. Ende September 2016 wurde das Papier „Lernen im Digitalen Wandel – Unser Leitbild 2020
für Bildung in Zeiten der Digitalisierung“ im Kabinett beschlossen.

Durch die fortschreitende Digitalisierung verändern sich die  Anforderungen, denen Bildung gerecht werden muss. Sie muss wirtschaftliche und soziale Teilhabechancen am Arbeitsmarkt sowie an der Gesellschaft sichern, auch unter durch Digitalisierung veränderten Bedingungen.Was bedeutet das konkret für die Umsetzung? Kann mit den Ideen der Landesregierung der Umgang mit der digitalen Welt in allen Bildungsbereichen für alle gleichermaßen umgesetzt werden?

Organisatorischen Rahmen schaffen

Die Landesregierung legt sich fest, dass digitale Schlüsselkompetenzen – Medienkompetenz, Anwendungs-Know-how und informatische Grundkenntnisse – in allen Fächern und entlang der gesamten Bildungskette erworben werden müssen. Für den Schulbereich sollen sich „digitale Aspekte fachlicher Kompetenzen“ in allen künftigen Lehrplänen finden. Der Medienpass NRW soll als Orientierungsrahmen dienen und verpflichtend werden. Jede Schule soll ein Medienkonzept entwickeln. Der Vernetzung und Kooperation wird eine bedeutende Rolle zugewiesen. Sie ist sicherlich wichtig und gewinnbringend, allerdings braucht gute und gelingende Kooperation Zeit – Zeit, die im Berufsalltag sowieso schon fehlt. Dafür muss in den Schulen Arbeitszeit in Form von Pflichtstunden zur Verfügung stehen, für alle und ohne Diskussionen im Kollegium um die Stunden aus dem viel zu geringen Topf an Anrechnungsstunden.
Ein Pflichtfach Informatik wird von der Landesregierung abgelehnt. Medienkompetenz ist sicherlich eine Querschnittsaufgabe, die alle Bereiche in Schule betrifft und der sich auch alle stellen (müssen). In der GEW NRW ist eine Positionierung dazu noch nicht ausdiskutiert, wobei klar ist: Wenn ein Pflichtfach Informatik gefordert wird, dann muss ehrlicherweise – wie bei jeder Forderung nach einem weiteren Pflichtfach – diskutiert werden, zu wessen Lasten dieses neue Fach geht. Denn es ist klar, dass die Ausweitung der Stundentafel keine Lösung ist.

In zeitgemäße Ausstattung investieren

Eine entscheidende Frage bleibt, wie die Ausstattung der Schulen und Bildungseinrichtungen so verändert und dauerhaft aktualisiert werden kann, dass eine Vermittlung von Medienkompetenz möglich wird. Bislang ist die Ausstattung in aller Regel mangelhaft. Das wird exemplarisch daran deutlich, dass es Kommunen gibt, deren Medienkonzept zur Ausstattung ihrer Schulen aus dem Jahre 2005 stammt und seitdem weder aktualisiert noch den technischen Entwicklungen angepasst wurde. Die Ausstattung hängt sehr von der Finanzlage und dem Willen der einzelnen Kommunen beziehungsweise dem Träger ab und differiert in den einzelnen Bildungseinrichtungen deutlich. So kann keine Chancengleichheit für digitale Teilhabe gewährleistet werden, im Gegenteil. Es müssen landesweite Standards entwickelt werden, die Benachteiligungen verhindern.
Das Land sichert die Kofinanzierung der Bundesförderung für den Breitbandausbau mit mindestens 50 Mbit/s bis zum Jahr 2018 zu und verspricht, bei der Antragsberatung darauf zu achten, dass Schulen Teil der Planungen sind. Für den Ausbau der Schulen hat die Landesregierung das Programm „Gute Schule 2020“ aufgelegt, aus dem in den kommenden vier Jahren insgesamt zwei Milliarden Euro zinsfrei an Kommunen vergeben werden, die allerdings sowohl für bauliche Maßnahmen als auch für die Schaffung digitaler Infrastruktur genommen werden können. Es ist gut, dass Nordrhein-Westfalen das Geld in die Hand nimmt, doch es reicht nicht aus. Vor Ort muss entschieden werden, ob es neue Toiletten, Differenzierungsräume, dichte Dächer gibt oder eine gute und zeitgemäße digitale Infrastruktur. Hier rächt es sich, dass viel zu lange viel zu wenig investiert wurde. Auch die von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka angekündigten fünf Milliarden Euro aus Bundesmitteln sind gut, es bleibt jedoch abzuwarten, nach welchen Kriterien das Geld verteilt wird und wie viel davon bei einzelnen Schulen ankommt.
Ein Grund für die schlechte Ausstattung ist das Kooperationsverbot, das auch die Landesregierung für „mehr als hinderlich“ hält. Seine Abschaffung – eine langjährige Forderung der GEW – bleibt notwendig, um einen nachhaltigen Beitrag des Bundes zur Bildungsfinanzierung zu ermöglichen. Denn allein der Sanierungsstau an Schulen beträgt bundesweit circa 34 Milliarden Euro.

Digitale Spaltung verhindern

Als weitere Handlungsmöglichkeiten, um die Digitalisierung in Bildungseinrichtungen voranzutreiben, betrachtet die Landesregierung die „Kooperation mit der Wirtschaft und den Eltern“ sowie „die Ausstattung mit digitaler Infrastruktur durch persönliche Geräte der Schülerinnen und Schüler“ – also das Prinzip „Bring Your Own Device“ (BYOD). Die GEW NRW steht diesen Ansätzen kritisch gegenüber: Auf der einen Seite gilt es, Lobbyismus einzelner Konzerne in den Schulen zu verhindern, diese wissen genau um die mangelnde Ausstattung der Schulen und machen attraktive Angebote. Im Zusammenhang mit der Nutzung von digitalen Medien ist die Gefahr von unzulässiger Einflussnahme sehr groß, wie einzelne Beispiele zeigen. Es braucht also einheitliche Kriterien, die eine Zusammenarbeit mit Unternehmen regeln und eine unzulässige Einflussnahme verhindern. Auch das Prinzip BYOD kann nicht tragen, da es immer eine kritische Masse von SchülerInnen geben wird, die kein eigenes digitales Gerät besitzt. Es gilt hier, eine digitale Spaltung zu verhindern und allen eine gleichberechtigte Mitarbeit zu ermöglichen. BYOD entlässt die Landesregierung und die Kommunen nicht aus ihrer Pflicht, für eine angemessene und aktuelle Ausstattung zu sorgen. Kostenfreie Bildung muss ein Grundprinzip bleiben – dazu gehört im digitalen Zeitalter auch die Ausstattung der Bildungseinrichtungen mit Medien. 

Vor Work-privacy conflict schützen

Grundsätzlich gilt für die GEW NRW, dass das Land seinen Beschäftigten Arbeitsmittel kostenfrei zur Verfügung stellen muss. Es braucht deshalb an den Schulen ausreichend Möglichkeiten für LehrerInnen, digitale Medien im Unterricht wie auch zur Vorbereitung zu nutzen. Bei der Vergabe der Mittel muss auch das ein Kriterium sein. Bei der Medienausstattung hat der Arbeitgeber im Rahmen der Fürsorgepflicht zu prüfen, welche gesundheitsförderlichen Arbeitsbedingungen gegeben sein müssen, um die Arbeitsbelastung der Beschäftigten nicht weiter zu erhöhen. Der Umgang mit digitalen Medien darf nicht zur Entgrenzung der Arbeits- und Lernzeit und damit zu einer Ausweitung der Arbeitszeit führen. Besonders vor dem Hintergrund der Ergebnisse der COPSOQ-Befragungen in den Schulen bedarf es Vereinbarungen zu Grenzen der Verfügbarkeit von Beschäftigten, um den „Work-privacy conflict“ nicht zu verstärken.

Datensicherheit großschreiben

Bislang bewegen sich viele Schulen bei der Datensicherung in unsicheren Rechtsräumen. Frei zugängliche Clouds entsprechen nicht den notwendigen Datenschutzvorschriften. Gerade bei der Nutzung von privaten Geräten ist es unbedingt notwendig, dass die Schulen Datenschutzvereinbarungen schließen. Daher hat das Land LOGINEO NRW aufgelegt, das Schulen „flächendeckend einen geschützten und den Anforderungen der IT-Sicherheit und des Datenschutzes entsprechenden virtuellen Arbeitsraum im Internet“ zur Verfügung stellen soll. Das ist ein längst überfälliger Schritt. Gleichzeitig müssen bei der Umsetzung von LOGINEO NRW Ressourcen zugesichert werden. Es gilt, den Support an den Schulen durch AdministratorInnen zu sichern, diese brauchen Zeit und Fachwissen.
Die Mitbestimmung in den Hauptpersonalräten läuft noch. Die notwendige Änderung der Datenschutzverordnungen liegen jetzt im Entwurf zur Verbändebeteiligung vor. Er enthält deutliche Einschränkungen von Persönlichkeitsrechten und eine Ausweitung der automatisierten Datenverarbeitung. Die GEW NRW wird dazu detailliert Stellung nehmen. Das Land hat als Arbeitgeber die Verantwortung, für Rechtssicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen und die Daten der KollegInnen zu schützen. 

Fortbildung ermöglichen

Damit Digitalisierung in den Schulen ankommt, ist eine Fortbildungsoffensive gefragt, die allen KollegInnen ihre Arbeit in Zeiten der Digitalisierung ermöglicht. Die Medienberatungen machen eine gute Arbeit vor Ort, können aber trotz der Verdoppelung der Stellen nicht den gesamten Bedarf abdecken. Schon in der LehrerInnenausbildung muss Digitalisierung mitgedacht und entsprechend eingebracht werden. Mit dem Lehrerausbildungsgesetz wird ein mediengestützter Unterrichtsbesuch Pflicht, das ist ein erster Schritt. Bis 2019 soll der digitale Ausbau der Zentren für schulische Lehrerbildung abgeschlossen sein. Das Leitbild „Lernen im Digitalen Wandel“ hat eindeutig den Schwerpunkt Schule, in den Bereichen Hochschule und frühkindliche Bildung bleibt es eher vage. Lediglich die Plattform „Digitale Hochschule NRW“, der Cloud-Speicherdienst „scibo“ und eine Verstärkung der Forschung im Bereich der IT-Sicherheit haben Eingang gefunden. Die frühkindliche Bildung taucht nur in ganz allgemeinen Aussagen auf. Hier besteht Nachbesserungsbedarf. Das vorliegende Leitbild der Landesregierung bleibt so eine erste Positionierung, die noch der Konkretisierung bedarf. Fehlende Standards müssen entwickelt werden. Dazu kann die regelmäßige Evaluation beitragen. Entscheidend für ein Gelingen wird eine zukunftsfähige Ausstattung der Schulen sein. 

Maike Finnern
Stellvertretende Vorsitzende der GEW NRW

Fotos: go2, Seite14 / photocase.de

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