Friedensarbeit in Studium und Referendariat: Kritisch fragen, mutig handeln!

Wenn Referendar*innen von der Bundeswehr Nachhilfe in Friedensfragen bekommen und die Rüstungsindustrie Geld in die Forschung staatlicher Hochschulen steckt, ist Skepsis angebracht. Wie können sich angehende Lehrer*innen und Studierende für Frieden stark machen?

Während Stefanie Wedy Sozialwissenschaften, Englisch und Geschichte studierte, verbrachte sie ein Jahr in Israel und ein weiteres halbes Jahr in Südafrika. Man könnte also sagen: Die heute 28-Jährige ist in der Lage, die Welt differenziert zu erfassen. Differenzierter jedenfalls als es das Simulationsspiel POL&IS zulässt, an der die Referendarin mit ihrem SoWi-Fachseminar teilnehmen sollte. „Sie stellt das Weltgeschehen stereotyp und verkürzt dar“, kritisiert Stefanie Wedy. POL&IS steht für „Politik und Internationale Sicherheit“ und wurde in den 1980er Jahren von Politikwissenschaftler Wolfgang Leidhold entwickelt, um Studierenden die Zusammenhänge der Weltpolitik zu vermitteln. 1989 erwarb die Bundeswehr die POL&IS-Lizenz und erweiterte das Spiel um militärische Mittel. Jugendoffizier*innen der Bundeswehr, die das Spiel in der Öffentlichkeit vertreten und seine Durchführung in Schulklassen oder Seminaren betreuen, entwickeln es ständig weiter.

Referendar*innen vor Überwältigung schützen!

Stefanie Wedy hatte wegen des Bundeswehrbezugs Bedenken an der Simulation teilzunehmen, allerdings wurde ihr signalisiert, dass die Veranstaltung für Referendar*innen ihres Seminars obligatorisch sei. Hier müsse eigentlich der Beutelsbacher Konsens greifen, sagt Michael Schulze von Glaßer von der deutschen Friedensgesellschaft. Der Konsens legt drei Prinzipien für den Politikunterricht fest: Überwältigungsverbot, Kontroversität und Schüler*innenorientierung. „Er muss immer dann angewendet werden, wenn Zwang besteht – zum Beispiel an Schulen und Universitäten mit Anwesenheitspflicht“, erklärt Michael Schulze von Glaßer.  
„Bei POL&IS geschieht genau das, wovor der Beutelsbacher Konsens schützen soll“, macht Stefanie Wedy deutlich. „Die Schüler*innen werden einseitig überwältigt und die Kontroverse fehlt.“ In ihrem SoWi-Seminar hieß es dazu: Die Bundeswehr sei ein staatlicher Akteur, weswegen einseitige Einflussnahme nicht zu befürchten sei. Schlussendlich nahm Stefanie Wedy aus vielerlei Gründen an der POL&IS-Simulation teil: Grundsätzlich war sie von der Fachkompetenz ihres Fachseminarleiters überzeugt, der vehement hinter dem Spiel stand. Nach Rücksprache mit Referendarkolleg*innen wollte sie außerdem nicht als einzige aufgrund von inhaltlichen Bedenken absagen. Die Benotung des Seminars, ist ebenfalls nicht unerheblich für die spätere Stellensuche. Michael Schulze von Glaßer bestätigt: „POL&IS wird an einigen Seminaren als obligatorisch verkauft, um am Ende eine Leistungsbescheinigung erhalten zu können.“ Die GEW NRW befürchtet diese Entwicklung schon länger, besonders weil zahlreiche Landesschulministerien sogenannte Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr unterzeichnet haben – 2008 auch in NRW. Die Abkommen räumen der Bundeswehr weitreichende Möglichkeiten in der politischen Bildung von Schüler*innen sowie in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrer*innen und Referendar*innen ein. Immer wieder werden Fälle bekannt, in den Lehrer*innen unter Druck gesetzt wurden, wenn sie sich gegen Bundeswehrwerbung an Schulen stellten.

Militärische Lösungen mit hohem Coolnessfaktor

In Stefanie Wedys Fachseminar wurde nur wenig Kritik zu POL&IS laut. Ihr Vorschlag im Sinne der Ausgewogenheit auch eine*n Friedensaktivist*in einzuladen, wurde schnell abgebügelt und im Februar 2017 besuchte das Seminar für drei Tage eine Winterberger Kaserne. „Die POL&IS-Simulation wurde von zwei sehr eloquenten Jugendoffizieren durchgeführt, die fachlich gut geschult waren“, erinnert sich Stefanie Wedy. „Viele Teilnehmer*innen waren angetan von ihrer Lockerheit, was vielleicht auch eine unkritische Haltung fördert.“ Das unterstreicht auch Michael Schulze von Glaßer: „Das Überwältigungsverbot gibt es nicht umsonst: Oft wird die Wirkung der Jugendoffizier*innen auf Schüler*innen unterschätzt. Die Soldat*innen dürfen höchstens 30 Jahre alt sein und sollen gezielt cool rüberkommen. Nicht jede*r kann Jugendoffizier*in werden, das sagt die Bundeswehr selbst.“
Nach jeder Spielrunde bewerten die Jugendoffizier*innen die Spielzüge der Teilnehmer*innen und obwohl es ein über 100-seitiges Handbuch gibt, sind die Soldat*innen bei ihren Bewertungen nicht daran gebunden. Die Teilnehmer*innen werden zu Spielbeginn einer Region wie Russland, Europa, Arabien, China oder Amerika zugelost. Stefanie Wedy spielte für Arabien. „Allein schon die Vereinfachung eines komplexen Staatengefüges zur ‚Region Arabien‘ ist total realitätsfern“, meint sie. Im Spielverlauf verbreiten fiktive Nachrichtenmeldungen Konflikte. Spielkarten stellen den Teilnehmer*innen acht Reaktionsszenarien zur Auswahl, von denen fünf gewalttätig sind und den Einsatz von Streitkräften sowie A-, B- oder C-Waffen verlangen. Welches Wissen generieren Schüler*innen daraus? Michael Schulze von Glaßer fragt weiter: „Warum wird POL&IS von der Bundeswehr angeboten und nicht von der Bundeszentrale für politische Bildung?“

Verpflichtung für eine friedliche Orientierung

An rund 60 Hochschulen bundesweit existiert heute eine Zivilklausel. „Sie ist die Selbstverpflichtung der Hochschulen in Lehre, Studium und Forschung friedliche und zivile Ziele zu verfolgen“, erklärt Senta Pineau, die als Studentin im Senat der Universität Köln sitzt und 2010 den „Arbeitskreis Zivilklausel“ mitgegründet hat. Im selben Jahr formulierten rund 5.000 Studierende via Urabstimmung ihren politischen Willen für eine strikt zivile Universität und 160 Hochschulbeschäftigte unterstützten in einer Unterschriftenkampagne des Arbeitskreises die Forderung nach einer Zivilklausel. Der Kampf der Aktivist*innen zahlte sich 2014 endlich aus, als die Hochschulen in NRW sich mit dem neuen Hochschulgesetz einer demokratischen, friedlichen und nachhaltigen Welt verpflichteten und ab 2015 eine Zivilklausel in ihre Grundordnungen aufnahmen. Das war ein wichtiger Schritt: Hochschulen erheben wieder gesellschaftspolitisch, positive Ansprüche, die Bedeutung für den Lauf der Welt haben.  
So auch die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen: Ende August 2017 wurde bekannt, dass die Universität im Auftrag von Rheinmetall eine Machbarkeitsstudie für den Bau einer Panzerfabrik in der türkischen Stadt Karasu plant. „Immer wieder hören wir von Verstößen gegen die Zivilklausel, aber es gibt auch immer die Möglichkeit den Kurs zu wechseln“, kommentiert Senta Pineau, was in Aachen geschah. In einer Pressemitteilung der RWTH heißt es schließlich: „Rückblickend war es ein Fehler seitens des Auftragnehmers, (...). Die RWTH fühlt sich nicht nur im Sinne der Gesetzgebung der friedlichen Forschung verpflichtet und betreibt keine Rüstungsforschung. (...). Entsprechend wurde der Auftrag auch vor Abschluss beendet.“ Hier greift der Einsatz der Zivilklauselbewegung und dient als Ermutigung und Orientierungspunkt: „Nicht mehr diejenigen, die Kriegsforschung kritisieren, müssen sich legitimieren, sondern diejenigen, die Kriegsforschung betreiben“, betont Senta Pineau.

Beiß’ nicht die Hand, die dich füttert! Oder doch?

Und das Engegement des Arbeitskreises geht weiter: Die neue Landesregierung in NRW will nicht nur die Zivilklausel aus Hochschulgesetz streichen, sondern plant auch Studiengebühren für ausländische Studierende. Auch das ist eine Frage des Friedens. Deshalb hat der Senat der Universität zu Köln eine prinzipielle Stellungnahme zur geplanten Einführung von Studienbeiträgen für Studierende aus Nicht-EU-Ländern veröffentlicht. Senta Pineau erklärt: „Damit nehmen wir eine Vorreiterrolle für Internationalität und Frieden und gegen nationale Egoismen ein. Wir gehen in einen politischen Konflikt mit der Landesregierung, von der wir eigentlich abhängig sind“, macht sie deutlich.
Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière kündigte einen „ergebnisoffenen Dialog“ bezüglich der Zivilklausel an. Was steckt dahinter? Promotionsstudent Stefan Brackertz, der sich ebenfalls im „Arbeitskreis Zivilklausel“ engagiert, rückt den sogenannten Dual-Use in den Fokus, also Erfindungen und Forschungsergebnisse, die umgewidmet zur Katastrophe führen können: „In den Positionspapieren der Bundesregierung ist Dual-Use eine Strategie, um sowohl Rüstungs- als auch Sicherheitsindustrie zu stärken. Zivilklauseln stehen dem zynischen Plan im Weg, mehr Profit aus Krieg und Angst zu schlagen, weswegen die Bundesregierung sie abschaffen will.“
Seit Einführung der Zivilklausel im März 2015 an der Uni Köln hat Stefan Brackertz den Eindruck, dass Fachbereiche, die schon immer einen gesellschaftlichen Beitrag geleistet haben, das jetzt noch selbstbewusster tun. Als ein Resultat der Zivilklauselbewegung entstand das Seminar „Physik & Ethik“, das Dozent*innen gemeinsam mit Studierenden wöchentlich organisierten. In der Physik ist die Auseinandersetzung mit Fragen von Krieg und Frieden historisch bedingt, nun befassten sich zahlreiche Teilnehmer*innen erneut damit: Ist eine Welt ohne Atomwaffen noch gefährlicher? Was bedeutet langfristig künstliche Intelligenz? Die Diskussionen werden in der Fachschaftszeitung dokumentiert, um sie der Hochschulöffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das Engagement der Studierenden ist oft initial und richtungsweisend, aber die Frage nach friedlicher und ziviler Wissenschaft ist unabhängig vom Alter und von der eigenen Rolle innerhalb der Hochschule, weswegen sich viele unterschiedliche Menschen engagieren. „Die verstärkte Diskussion über Sinn und Zweck der Wissenschaft und ihre Indienstnahme für Zerstörung und Krieg führt zu einem höheren Grad an politischem Bewusstsein und Gesellschaftlichkeit“, fasst Senta Pineau zusammen. „Das ist die Voraussetzung für eine wissenschaftiche Tätigkeit in gesellschaftlicher Verantwortung.“


Roma Hering
ist freie Journalistin.

Illustration: newcorner / shutterstock.com

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