Religiöse Bildung als Dialog

LehrerInnenausbildung für den islamischen Religionsunterricht

Der islamische Religionsunterricht befähigt SchülerInnen dazu, ihre eigene Religiosität wahrzunehmen und die Bedeutung religiöser Inhalte individuell zu reflektieren: Was bedeutet Religion beziehungsweise bedeuten religiöse Inhalte für mich? Welchen Bezug haben sie zu meinem Alltag? Denn religiöse Bildung gelingt erst, wenn sie zum Teil einer religiösen Einstellung wird. Religiöse Bildung meint eine persönlich ausgeformte beziehungsweise sich ausformende Religiosität. Die Besonderheit eines gelungenen Religionsunterrichts ist gerade sein Gegenwartsbezug. Wie können islamische ReligionslehrerInnen ihre SchülerInnen in diesem Prozess unterstützen?

Eigene Religiosität entwickeln zu können setzt Freiheit voraus; Bevormundung jedoch blockiert jede Form von Freiheit. Religiöses Lernen geschieht heute weniger durch Autorität, es muss sich vielmehr unter modernen Bedingungen neu begründen. In einem gelungenen islamischen Religionsunterricht tritt an die Stelle einer monologischen Belehrung der SchülerInnen durch die Lehrkraft eine dialogische Begegnung. Ziel ist die Befähigung zu kritischer Reflexion und die Entfaltung von Emotionalität in religiösen Fragen. SchülerInnen sollen befähigt werden, ihr Leben in religiöser Hinsicht selbst zu entwerfen und diesen Lebensentwurf selbst zu verantworten. Sie sollen in der Lage sein, zwischen lebensfreundlichen und lebensfeindlichen religiösen Angeboten zu unterscheiden.
Ein gelungener islamischer Religionsunterricht versteht sich also nicht als Prozess der Vermittlung von Religion. Beim veralteten Konzept der Vermittlung stand das zu Vermittelnde im Vordergrund. Heute geht es um Aneignungsprozesse. Bei diesem Konzept der Aneignung stehen die SchülerInnen selbst, als Subjekte mit eigener Lebenswirklichkeit, eigene Erfahrungen, Erwartungen, Wünschen und Bedürfnissen im Vordergrund des Prozesses der religiösen Bildung. In der islamischen Bildung geht es heute nicht um das Eintrichtern von Glaubensgrundsätzen und die Vermittlung von endgültigen Antworten, sondern darum, SchülerInnen zu befähigen, ihre eigene Religiosität zu entwickeln und wahrzunehmen sowie die Bedeutung religiöser Inhalte individuell zu reflektieren, damit sie ihre Religiosität selbst verantworten können.
ReligionslehrerInnen sind demnach nicht lediglich passive VermittlerInnen von endgültigen Wahrheiten, sondern BegleiterInnen, die aufklären, Zugang schaffen für religiöse Erfahrungen, verschiedene Positionen miteinander ins Gespräch bringen, zum Nachdenken und zum kritischen Hinterfragen motivieren.

Religiöse Bildung als Dialog

Der Wer zur Idschaza

In Deutschland benötigen ReligionslehrerInnen die kirchliche Bevollmächtigung: Vocatio für Pro-testantInnen, Missio canonica für KatholikInnen und Idschaza für MuslimInnen. Gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes ist der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft zu erteilen. Die Vocatio und Missio werden von der jeweiligen Kirche erteilt, die Idschaza von den muslimischen Gemeinden beziehungsweise muslimischen Beiräten. Um die Idschaza zu bekommen, muss die jeweilige Lehrkraft im Gespräch mit VertreterInnen der Religionsgemeinden – in NRW mit VertreterInnen des muslimischen Beirats – überzeugend darlegen, dass sie sich an die Grundsätze der islamischen Lehre hält und dass sie in ihrer eigenen religiösen Praxis danach handelt. Da allerdings der Islam keine zentrale Institution wie die Kirche kennt, bleibt es äußerst schwer zu bestimmen, was die unverhandelbaren Grundsätze der Religion sind. Der Islam kennt in seiner 1400-jährigen Ideengeschichte eine Bandbreite an Interpretationen und Auslegungen und zeichent sich durch innere Pluralität aus; der Versuch einer Homogenisierung des Islam ist daher zum Scheitern verurteilt. Die Grundsätze des Islam, zu denen sich eine Religionslehrkraft bekennen sollte, müssten daher möglichst grob definiert werden, um die Vielfalt zuzulassen.
Am Zentrum für Islamische Theologie in Münster (ZIT) werden ReligionslehrerInnen für den islamischen Religionsunterricht ausgebildet. Die Ausbildung beinhaltet folgende Schwerpunkte:

  • die arabische Sprache, um den zukünftigen LehrerInnen einen Zugang zum Koran und zu den Primärquellen des Islam zu ermöglichen
  • Koran und Koranexegese, wobei der Koran in seinem historischen Kontext zu verorten ist und mittels historisch-kritischer Methoden erforscht wird
  • prophetische Tradition und Biografie des Propheten
  • islamische systematische Theologie
  • islamische Philosophie
  • Mystik
  • die islamische Normenlehre
  • feministische Zugänge zum Islam
  • islamische Religionspädagogik und Didaktik
  • europäische Kulturgeschichte
  • Einführung in das Christen- und das Judentum
  • interreligiöser Dialog
Religiöse Bildung als Dialog

Dialogisches Prinzip

Gerade die Frage nach der Beziehung zwischen der islamischen Theologie und einer modernen islamischen Religionspädagogik ist für die Entwicklung eines zeitgemäßen islamischen Religionsunterrichts von großer Bedeutung. Viele muslimische ReligionspädagogInnen missverstehen ihre Rolle und sehen sich lediglich als VermittlerInnen religiöser Inhalte im Dienste der Theologie. Sie geben die Inhalte unreflektiert an die SchülerInnen weiter. Für viele von ihnen ist die islamische Religionspädagogik lediglich eine Anwendungswissenschaft. Durch ein solches Verständnis der LehrerInnenrolle werden die SchülerInnen im Religionsunterricht kaum dazu befähigt, ihre eigene Religiosität wahrzunehmen und die Bedeutung religiöser Inhalte individuell zu reflektieren.
Eine moderne religiöse Bildung setzt daher eine dialogische Theologie voraus, in der die Gott-Mensch-Beziehung dialogisch verstanden wird. Nur so kann religiöse Bildung einen Raum für Gottes- und religiöse Erfahrungen öffnen. Die theoretisch-theologische Grundlage eines dialogischen Gottesbildes ist insbesondere für den islamischen Religionsunterricht wichtig, um ein Verständnis religiösen Lehrens und Lernens jenseits eines Verständnisses vom Islam als reine Gesetzesreligion zu etablieren. Genau an diesem Punkt setzen wir in der aktuellen Auseinandersetzung mit der Entwicklung einer modernen islamischen Religionspädagogik an. Denn eine Gott-Mensch-Beziehung, die lediglich auf Gehorsam und Unterwerfung basiert, verschließt diesen Raum der dialogischen Gotteserfahrung.
Ein als Gesetzesreligion verstandener Islam, in dem es lediglich um ein juristisches Schema geht, das möglichst alle Lebensbereiche des Menschen erfassen soll, macht ReligionslehrerInnen zu VermittlerInnen juristischer Sätze, die lediglich sagen, was erlaubt und was verboten sei. Die islamische Religionspädagogik würde so zu einer Anwendungsdisziplin und einem Sprachrohr im Dienste eines sehr restriktiven Verständnisses von Religion. Durch ein solches Rollenverständnis von ReligionslehrerInnen würden die SchülerInnen kaum dazu befähigt, ihre Mündigkeit in religiösen Fragen wahrzunehmen.

Antworten auf Fragen des Alltags

Der heutige islamische Religionsunterricht will junge Menschen zur kritischen Reflexion von Traditionen anhalten, die sich mit humanen Werten nicht vereinbaren lassen. Er befähigt SchülerInnen dazu, ihre freie individuelle Selbstbestimmung als MuslimInnen auf der Basis eines offenen Islamverständnisses im Sinne einer spirituellen und ethischen Religion (und weniger einer Gesetzesreligion) zu entfalten. Sie sollen den Sinn ihrer Religiosität für sich entdecken, sie sollen Gott als den absolut Barmherzigen, der auf ihrer Seite ist und ihnen bedingungslos Liebe schenkt, kennenlernen und erfahren.
Heranwachsende lernen auf Basis der Philosophie des Guten, von sich aus je nach Lebenskontext, Antworten auf Alltagsherausforderungen zu finden, die sowohl mit ihrem religiösen Selbstverständnis als MuslimInnen als auch mit ihrem Selbstverständnis als EuropäerInnen harmonieren. Dabei ist das Herz als Stätte der Frömmigkeit Hauptadressat der islamischen Erziehung; der Prophet Mohammed beschrieb seinen Auftrag wie folgt: „Ich wurde entsandt, um die guten Charaktereigenschaften zu vervollkommnen.“

Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, Professor für Islamische Religionspädagogik und stellvertretender Direktor des Centrums für religionsbezogene Studien

Fotos: Ibrakovic, aluxum, Tassil / iStock.com



 

Beirat für Islamischen Religionsunterricht in NRW

Sensible Partnerwahl

Obwohl NRW-Innenminister Ralf Jäger die Zusammenarbeit mit der Türkisch-Islamischen Union Ditib gestoppt hat, hält das Schulministerium an der Kooperation fest. Ditib stellt weiterhin eines von acht Mitgliedern des Beirats für den Islamischen Religionsunterricht in NRW.
Das Innenministerium kündigte die Zusammenarbeit mit Ditib in dem Projekt „Wegweiser“ auf, das Jugendliche gegen salafistische Einflüsse stärkt. Zuvor hatte der Verband sich nicht ausreichend von einer Publikation der türkischen Religionsbehörde Diyanet distanziert, in der der Märtyrertod verherrlicht wird. Schulministerin Sylvia Löhrmann unterstützte diese Entscheidung, betonte jedoch, dass im Bildungsbereich keine vergleichbaren Konflikte vorlägen. Ditib arbeite unverändert konstruktiv im Beirat für den Islamischen Religionsunterricht in NRW mit. Immer wieder gerät der islamische Dachverband wegen seiner großen Nähe zum türkischen Staat in die Kritik. Auch Sylvia Löhrmann fordert die Emanzipation des Verbandes. Insbesondere in Hinblick auf die Anerkennung von Ditib als Religionsgemeinschaft sei die Landesregierung aufgrund der jüngsten Ereignisse in der Türkei besonders aufmerksam und kritisch, bleibe aber weiterhin mit dem islamischen Dachverband im Gespräch.
Im Dezember 2011 hatte der Landtag das „Gesetz zur Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach“ verabschiedet – ein wichtiger Schritt für die Gleichstellung der rund 320.000 muslimischen SchülerInnen in NRW.  Seitdem können Schulen der Primarstufe und der Sekundarstufe I,
die die organisatorischen Voraussetzungen erfüllen und über die entsprechenden LehrerInnen verfügen, den islamischen Religionsunterricht anbieten. Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht gehört nach dem Schulgesetz zu den gemeinsamen Aufgaben von Staat und Religionsgemeinschaften. Der Beirat war damals eingerichtet worden, weil bislang keine islamische Organisation die rechtlichen Merkmale einer Religionsgemeinschaft erfüllt. Er vertritt laut Gesetz „die Anliegen und die Interessen der islamischen Organisationen bei der Einführung und der Durchführung des islamischen Religionsunterrichts“.

Anja Heifel
nds-Redaktion

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