Tarifrunde 2019: Der Arbeitskampf hat viele Gesichter

Gewerkschafter*innen denken im „Wir“

Die Tarifrunde 2019 geht in die heiße Phase: Jetzt sind Gewerkschafter*innen gefragt, sich für die berechtigten Forderungen stark zu machen. Wofür sie in diesem Jahr kämpfen und warum sie zum Streik bereit wären, erklären die Tarifkämpfer*innen Antje Adu, Stefan Schüller und Birgit Feldmann im Interview.

nds: Wofür kämpft ihr in der Tarifrunde 2019?

Antje Adu: Ich kämpfe für meine Berufsgruppe. Für eine Verbesserung der Bezahlung im Sozial- und Erziehungsdienst. Konkret bedeutet das, dass neben einer prozentualen Erhöhung auch die Werte der Entgelt- und Eingruppierungsstruktur des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD) für den Tarifvertrag der Länder (TV-L) übernommen werden müssen. Die Tabellenwerte des TV-L liegen inzwischen hinter denen des TVöD, der in der Tarifrunde 2018 erfolgreich verbessert wurde. Ebenso ist es für mich selbstverständlich, dass ich nicht nur die eigenen, sondern auch die Interessen aller Beschäftigten vertrete: von den Lehrer*innen, die Herkunftssprachlichen Unterricht geben, über die ungleich bezahlten Lehrkräfte in der Sekundarstufe I bis hin zu den Beschäftigten der Hochschulen. In einer Tarifrunde gibt es die verschiedensten Interessensgruppen, die ohne die Solidarität unterein-ander zerfasern würden und nichts erreichten. Als Gewerkschafterin denke ich nicht im „Ich“ sondern im „Wir“.
Stefan Schüller: In der Tarifrunde 2019 muss es im Kern darum gehen, die existierenden Lohnlücken nach oben hin zu schließen. Das betrifft zum einen die Lücke zwischen verbeamteten und tarifbeschäftigten Lehrer*innen – und hier vor allem die angestellten Lehrer*innen in der Sekundarstufe I und in der Grundschule – zum anderen geht es um den Lohnunterschied im öffentlichen Dienst zwischen Angestellten des Bundes und der Kommunen sowie den Beschäftigten der Bundesländer. Gleichwertige Arbeit muss in jeder Branche auch gleich entlohnt werden!
Birgit Feldmann: Mir liegen naturgemäß die befristet Beschäftigten und die wissenschaftlich Beschäftigten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen besonders am Herzen. Nicht nur in dieser, auch schon in den vorigen Tarifrunden. Als Beschäftigte an einer Hochschule mit einem Ordner voller befristeter Verträge unterschiedlichster Art kann ich die Sorgen und Nöte meiner Kolleg*innen sehr gut nachvollziehen. Für uns wäre es zudem ein wichtiger Schritt, die große Gruppe unserer wissenschaftlichen Hilfskräfte und die Gruppe der Lehrkräfte für besondere Aufgaben tariflich abzusichern. Auch die bestehende Ungleichheit der Besoldung an Fachhochschulen und Universitäten von Kolleg*innen mit gleicher Ausbildung und gleicher Tätigkeit muss perspektivisch beseitigt werden. 

Warum ist es also so wichtig, für die Tarifforderungen auf die Straße zu gehen? Wen nehmt ihr mit zum Streik?

Stefan: Die konkreten Tarifforderungen sind zwar oft sehr sperrig formuliert, dennoch ist es wichtig, für sie auf die Straße zu gehen, weil ihre Umsetzung konkrete Verbesserungen für alle bedeutet. Je mehr Kolleg*innen dabei sind, desto größer wird der Druck auf die Arbeitgeber. Genauso wichtig wie die Streikbeteiligung ist es, die Forderungen auch anderweitig in die Öffentlichkeit zu transportieren. Ohne dabei zu indoktrinieren, kann man dies auch in der Schule tun. Zum Lehrer*innenstreik habe ich daher ein Rätsel als „Mystery“ für den Einsatz im Unterricht erstellt. Ich finde es darüber hinaus wichtig, dass die verbeamteten Kolleg*innen nicht nur keinen Unterricht vertreten, sondern sich auch aktiv mit uns Angestellten solidarisieren, zum Beispiel durch Unterrichtsexkursionen zu den Streiks.
Antje: Ja, auch nicht organisierte Kolleg*innen sollten streiken und Beamt*innen, die zu den Streikzeiten unterrichtsfrei haben, können demonstrieren und sich solidarisch zeigen. Ich höre oft: Was hat denn die Gewerkschaft bisher für mich erreicht? Die Gewerkschaft, das sind wir. Wir haben mit dem Streikrecht die arbeitsrechtlich verbriefte Möglichkeit, unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen und jede*r sollte davon Gebrauch machen. Ich bin zum Beispiel im Ortsverband Castrop-Rauxel. Dort werden wir ein Streikcafé organisieren und zusammen mit den streikenden Angestellten und solidarischen Beamt*innen zur Demo fahren.
Wir wissen, dass gute Ergebnisse nicht ausschließlich durch die Einsicht der Arbeitgeber zustandekommen, sondern auch durch Streik. So zeigen wir Flagge: Wir sind nicht einverstanden, unter den gegebenen Bedingungen weiterzuarbeiten und auch nicht damit, die Bedingungen vom Arbeitgeber einseitig diktiert zu bekommen. Wir wollen verhandeln und unsere berechtigten Forderungen in unseren Arbeitsbedingungen wiederfinden. Ohne die Streikunterstützung haben die Verhandlungsführer*innen die Drohwirkung zahnloser Tiger.  
Birgit: Deshalb müssen Tarifforderungen von Menschen unterstützt und durchgesetzt werden. Damit wir von der Öffentlichkeit und vom Arbeitgeber gesehen werden, ist es zwingend notwendig, sich auf der Straße zu zeigen. Ohne Präsenz nimmt uns niemand wahr, geschweige denn ernst. Deshalb werde ich mit meinen Kolleg*innen aus dem Stadtverband, aus der Fachgruppe Hochschule und Forschung der GEW NRW und natürlich dem Ausschuss für Tarifpolitik auf die Straße gehen.

Was würdet ihr denjenigen sagen, die noch nie gestreikt habe oder sich an anderen Aktionen der GEW beteiligt haben? Warum sollten sie in dieser Tarifrunde dabei sein?

Stefan: Ich verliere als Gewerkschafter*in nichts, wenn ich streiken gehe. Der Verdienstausfall wird ersetzt, dazu bekomme ich noch leckere Streikbrötchen und kann mit meinen Kolleg*innen Käffchen trinken. Nein, mal im Ernst: Wir nehmen mittlerweile viele unserer Rechte selbstverständlich. Wer streikt, wirkt dem entgegen, macht von einem elementaren Grundrecht Gebrauch und füllt dieses mit Leben. Außerdem muss der öffentliche Dienst wieder zu einer Lokomotive für ein höheres Lohnniveau und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in allen Branchen werden.
Antje: Grundsätzlich sollte jede*r in jeder Tarifrunde streiken. Dieses Mal jedoch besonders, denn die Staatskassen sind gut gefüllt. Der gravierende Fachkräftemangel ist groß – besonders bei Lehrer*innen an Grundschulen, in der Sekundarstufe I, bei Sonderpädagog*innen sowie Sozialpädagogischen Fachkräften. Viele Bundesländer vergüten inzwischen besser als das Land NRW. Sollen die Arbeitsverhältnisse an Schulen in NRW auch in Zukunft noch attraktiv sein, muss dringend nachgebessert werden. Das bedeutet, der Arbeitgeber steht unter Druck: Wenn wir eine bessere Bezahlung fordern, dürfen wir nicht allein auf den guten Willen der Arbeitgeber hoffen und vertrauen.
Birgit: Tarifrunden sind die Gelegenheit, sich zu zeigen: Passiv dabei zu sein, überzeugt Arbeitgeber nicht. Die wollen Zahlen sehen. Bleibt nicht zuhause, schließt euch an! Auch kleine Aktionen können einiges bewirken, also macht mit! Selbst wenn ihr denkt „Ach, für mich ist ja eh nix dabei…“, ist eine Tarifrunde immer eine gute Gelegenheit, Diskussionen in Gang zu bringen, miteinander ins Gespräch zu kommen und dadurch etwas zu bewegen. Eine Gewerkschaft ist eine Solidargemeinschaft, dazu gehört auch, mal für andere mitzulaufen.

Was wünscht du dir für deinen Arbeitsbereich auch über die nächste Tarifrunde hinaus?

Antje: Dauerhaft ist die Eingruppierung in die EG 11 anzustreben, da Sozialpädagogische Fachkräfte heute ein immenses Spektrum an Aufgaben zu bewältigen haben und eine besondere Schwere der Tätigkeit vorliegt. Außerhalb der Tarifverhandlungen erwarte ich die Schaffung von Beförderungsstellen, da vermehrt Masterabsolvent*innen in den Schuldienst eintreten werden. Kolleg*innen mit hochqualifizierten Zusatzausbildungen und speziellen Kompetenzen müssen Aufstiegschancen eröffnet werden und multiprofessionelle Teams müssen in Zukunft auf allen Ebenen vertreten sein.
Birgit: Tarifarbeit ist ein Teil von Gewerkschaftsarbeit, Gewerkschaften sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Gewerkschaften leben von ihren Mitgliedern. Ich selbst stamme aus einer Arbeiter*innenfamilie mit langer gewerkschaftlicher Tradition und bin auf der einen Seite damit aufgewachsen, eine loyale Haltung dem Arbeitgeber gegenüber zu entwickeln, aber auch, für eigene Rechte einzutreten und diese einzufordern. Erstaunt habe ich während meines akademischen Arbeitslebens festgestellt, dass gerade Akademiker*innen nicht selbstverständlich an gewerkschaftlicher Arbeit interessiert sind. Daher wünsche ich mir natürlich, dass unsere Mitgliederzahl in diesem Bereich ordentlich ansteigt. Damit das so ist, sind Vorbilder unbedingt wichtig.
Stefan: Im gesamten Bildungsbereich, von der Kita bis zur Volkshochschule, muss die Arbeitsbelastung gesenkt werden. Es müssen vielmehr neue Kolleg*innen eingestellt beziehungsweise deren Verträge entfristet werden. Die Privatisierung im Bildungsbereich muss zurückgedrängt werden. Wer Visionen hat wie Weltfrieden, sollte nicht zum Arzt geschickt werden, sondern Arzt werden können und in einem gerechten, inklusiven Bildungssystem entsprechend gefördert werden.


Die Fragen für die nds stellte Jessica Küppers.

Foto: Rawpixel.com / Fotolia

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