Zweiter Bildungsweg: Geschenkt gibt es nichts

Ein Erfahrungsbericht

John Martin Diagne-Erdmann musste auf dem Ersten Bildungsweg einige Hürden nehmen: Häufige Umzüge und viele Schulwechsel machten das Lernen schwer. Auf dem Zweiten Bildungsweg hat er schließlich einen Neustart gewagt – für bessere Perspektiven und mehr berufliche Sicherheit.

Ich bin derzeit im fünften Semester des Westfalen-Kollegs Dortmund und werde voraussichtlich im nächsten Frühjahr mit dem Abitur, der allgemeinen Hochschulreife, abschließen. Danach möchte ich gerne Physik studieren. Ein bestimmtes berufliches Ziel habe ich dabei nicht vor Augen. Ein Traumjob wäre natürlich in der Forschung zu arbeiten und zu neuen Erkenntnissen beitragen zu können.

Hürden auf dem Ersten Bildungsweg

Während des Ersten Bildungswegs musste ich oft umziehen und die Schule wechseln. Mir fiel es damals sehr schwer, mich in neue Schulklassen zu integrieren, da ich immer sehr schüchtern war und auch unsicher, was mich jedes Mal erwarten würde. Ich überspielte deshalb vor Mitschüler*innen meist meine Schwächen und schulischen Defizite. Auf das Lernen und den Unterricht konnte ich mich währenddessen kaum konzentrieren. Für mich war Schule damals ein leidiges Thema und besonders Naturwissenschaften fielen mir schwer. Ich verließ den Ersten Bildungsweg mit dem Hauptschulabschluss nach Klasse 10 – das war im Jahr 1999. Seitdem hat sich aber viel getan: Dass Mathematik und Physik inzwischen sogar zu meinen Hobbys zählen, habe ich im Prinzip zwei tollen Lehrern in der Einführungsphase sowie meinen beiden Leistungskurslehrern am Westfalen-Kolleg Dortmund zu verdanken. Sie machen zum einen an tollen Unterricht gemacht und nehmen sich zum anderen Zeit für Fragen und eingereichte Zusatzaufgaben.
Nach der Schulzeit fand ich es zunächst toll, mit Nebenjobs Geld verdienen zu können. Als ich dann meinen ersten Vollzeit-Arbeitsvertrag bei einer bekannten Sicherheitsfirma als Maschinenführer unterzeichnete, war ich zwar sehr stolz, konnte mich aber mit der Tätigkeit nicht identifizieren. Ich wechselte deshalb das Tätigkeitsfeld und arbeitete nun für ein medizinisches Labor im Vertrieb. Als mein Vertrag dort nicht verlängert wurde, wurde ich arbeitslos. Da ich keinen Anspruch auf Sozialleistungen hatte, nahm ich einen Job bei einem Dressurstall an, mistete Ställe aus und brachte Pferde auf die Weiden oder in die Führanlage. In dieser Zeit kam es mir vor, als wäre ich ein absoluter Niemand. Einen Beruf zu haben, von dem ich gut leben kann, mit dem ich mich identifiziere und der mir Spaß macht – das war mein Ziel. Ich habe mich dann entschieden, es noch einmal mit dem Abitur zu probieren.

Hart erarbeitete Perspektiven

Der Unterricht am Westfalen-Kolleg Dortmund findet ganztägig statt: Die Kurse, die man ab dem dritten Semester besucht, sind über den ganzen Tag verteilt. Aus Altersgründen bekomme ich keine Unterstützung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Leider muss ich derzeit sehr viel arbeiten und es bleibt wenig Zeit für etwas anderes. Ich arbeite für einen Bestatter und kann dort auch die Nachtbereitschaft übernehmen – das ist für mich wegen der Unterrichtszeiten günstig. Außerdem gehe ich kellnern, trage Zeitungen aus und gebe ab und an Nachhilfe in Mathematik und Physik. Das ist natürlich ein ganz schönes Pensum, das ich nicht für immer aufrecht erhalten kann. Aber ich bin froh, dass Schule und Arbeit sich im Moment einigermaßen miteinander vereinbaren lassen. Auch die Lehrer*innen haben Verständnis dafür, dass bei manchen Studierenden die Situation etwas schwieriger ist als bei anderen.
Wenn ich mich aus dem Stegreif für etwas aussprechen sollte, was man für den Zweiten Bildungsweg ändern sollte, dann wäre es die Begrenzung des BAföG-Anspruchs auf ein Mindestalter. Bildung ist ein hohes Gut und es sollte jedem möglich sein einen Abschluss nachzuholen wenn er oder sie bereit dazu ist.
Meine Erfahrungen im Zweiten Bildungsweg sind durchweg positiv: Am Westfalen-Kolleg Dortmund gibt es eine tolle Schüler*innenvertretung, die sich sehr engagiert, und der Zusammenhalt ist toll. Auch die Betreuung und Beratung durch die Lehrkräfte empfinde ich als sehr positiv. Ich bin sehr dankbar, dass ich das Abitur nachholen kann und empfehle den Zweiten Bildungsweg absolut weiter. Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es hier keinen Abschluss geschenkt gibt. Regelmäßige Anwesenheit, die Bereitschaft zu Hause zu lernen und die Hausaufgaben zu machen – das sind Voraussetzungen, um im Zweiten Bildungsweg erfolgreich zu sein.


John M. Diagne-Erdmann
Studierender des Westfalen-Kollegs Dortmund

Foto: owik 2, inkje / photocase.de

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