Lehrkräftemangel in NRW: Sozial selektiv und bildungsfeindlich

Beschlüsse des Gewerkschaftstags 2017

„Bildung gegen Spaltung“ lautete das Motto des Gewerkschaftstags der GEW NRW im November 2017. Besonders intensiv erörterten die Delegierten den Lehrkräftemangel, der zunehmend die Bildungsqualität in Nordrhein-Westfalen bedroht und zudem die soziale Ungleichheit an den Schulen verstärkt.

Die GEW NRW – so beschlossen es die Delegierten – fordert die Landesregierung auf, umgehend Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel zu ergreifen. Erforderlich ist ein Sofortprogramm zur Behebung des aktuellen Mangels. Vor allem aber sind Maßnahmen entscheidend, die dem Lehrkräftemangel langfristig entgegenwirken, indem sie die Attraktivität des Berufs steigern. Sie müssen zudem geeignet sein, vorrangig den Schulen in schwierigem sozialen Umfeld zu helfen, die derzeit besonders stark unter dem Mangel an Lehrer*innen leiden.

Das Sofortprogramm

Zwei wesentliche Maßnahmen dulden keinen Aufschub: Zum einen müssen finanzielle Anreize bei der Einstellung von Lehrkräften an schwierig zu versorgenden Schulen geschaffen werden – auch um arbeitssuchende Lehrkräfte mit anderen Lehrämtern für besonders unterversorgte Schulen zu gewinnen. Zum anderen müssen die Möglichkeiten des Seiteneinstiegs auf feste Stellen verbessert werden. Dazu gehört eine Reihe von Einzelmaßnahmen:

  • In Mangelfächern muss der Quereinstieg für berufserfahrene Nichterfüller*innen mit Hochschulabschluss wieder eingeführt werden, um den Zugang zum Referendariat zu ermöglichen.
  • Die Qualifizierung gemäß der „Ordnung zur berufsbegleitenden Ausbildung für Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger“ (OBAS) muss verbessert werden, indem der Ausbildungsanteil erhöht wird.
  • Die Einstellung an Grundschulen muss geöffnet werden für einen Seiteneinstieg bei abgeschlossenem Hochschulstudium in einem für Grundschulen relevanten Fach. Diese Seiteneinsteiger*innen werden berufsbegleitend primarstufenspezifisch qualifiziert durch eine OBAS mit den Bestandteilen Grundschuldidaktik und Grundlagen für Deutsch oder Mathematik. Anschließend legen sie eine Prüfung
    für das Lehramt Grundschule ab.
  • Die Nachqualifizierung für das Lehramt Sonderpädagogik gemäß der „Verordnung zur berufsbegleitenden Ausbildung zum Erwerb des Lehramts für sonderpädagogische Förderung“ (VOBASOF) muss optimiert und verlängert werden.
  • Dauer und Ausbildungsanteil der Pädagogischen Einführung (PE) müssen deutlich verbessert werden.
  • Ausbildungsanteile von OBAS, VOBASOF und PE für die Schulen müssen bedarfserhöhend angerechnet werden. Mentor*innen sollen Anrechnungsstunden erhalten.
  • Die Anerkennung ausländischer Lehramtsausbildungen und der Zugang zu Nachqualifizierungen müssen entbürokratisiert werden.
  • Der Erwerb des zur Schulform passenden Lehramts – im Sinne einer Bleibeperspektive – oder die wunschgemäße Versetzung muss ermöglicht werden.

Nachhaltig wirksame Maßnahmen

Eine nachhaltige Bekämpfung des Lehrkräftemangels setzt jedoch voraus, dass die Attraktivität des Berufs langfristig wirksam gesteigert wird. Dazu gehört die Bezahlung der Lehrkräfte an allen Schulformen nach
A 13 Z / EG 13 als Einstiegsbezahlung, die Senkung der Arbeitszeit und Reduzierung der Belastung, die Schaffung von Entlastungs- und Teilzeitmodellen, unter anderem um die Altersgrenze gesund zu erreichen, sowie eine deutliche Verkleinerung der Lerngruppen.
Um den Mangel auf Dauer zu bekämpfen, müssen auch im Hochschulbereich die Kapazitäten in der Lehrer*innenausbildung angepasst werden. Die GEW NRW fordert eine Erhöhung der Zahl der Lehramtsstudienplätze, vor allem in Mangelbereichen, um den NC absenken zu können. Um zudem Studienabbrüche effektiver verhindern zu können, ist eine Verbesserung der Betreuungsrelationen erforderlich.

Zielgenau agieren

Der grundsätzliche und der fachspezifische Lehrkräftemangel trifft Schulen und Schulformen seit Jahren nicht in gleichem Maße. Haben Gymnasien in der Regel noch akzeptable Möglichkeiten, um ihren fachspezifischen Bedarf zu decken, fällt das Haupt- und teils auch Gesamtschulen deutlich schwerer. Manche Regionen klagen über dramatischen Mangel, andere beschreiben die Situation als noch akzeptabel. So verstärkt der Mangel die soziale Spaltung an den Schulen in NRW. Um diese Entwicklung zu stoppen, sind flankierende Maßnahmen gefragt: Dazu gehören zum Beispiel die Einführung eines schulbezogenen Sozialindex für Schulen in
besonderen Problemlagen für eine bessere Versorgung mit Lehrkräften sowie die Wiedereinführung der Schuleinzugsbezirke für Grundschulen, um sozialräumliche Benachteiligungen auszugleichen.
Ausführlich und kontrovers diskutierte der Gewerkschaftstag der GEW NRW geeignete Maßnahmen, um den Lehrkräftemangel an Grundschulen im allgemeinen und speziell an Grundschulen mit schwierigem sozialen Umfeld zu bekämpfen. Eine Reduzierung der Stundentafel kam für die Delegierten nicht infrage:
Zu groß ist die Gefahr, dauerhaft die Bildungsqualität zu beschädigen. Sie beschlossen jedoch die Forderung nach einer Aussetzung des sogenannten schulscharfen Einstellungsverfahrens für Grundschulen – zunächst befristet auf drei Jahre. Indem ausschließlich das landesweite Listenverfahren angewendet wird, wird sichergestellt, dass  vorrangig die Schulen besetzt werden, die die höchsten Bedarfe gemäß Sozialindex haben und aktuell am stärksten unterversorgt sind.

Druck wird scheitern

Übliche Gedankenspiele der Arbeitgeberseite bestehen darin, Teilzeitmöglichkeiten zu reduzieren oder den selbstbestimmten Übergang der Beschäftigten in den Ruhestand zu erschweren. Langfristig schaden diese scheinbar erfolgversprechenden Maßnahmen jedoch und schränken noch dazu die Gestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten ein: Sie wirken demotivierend und kontraproduktiv.


Michael Schulte
Geschäftsführer der GEW NRW

Foto: view7 / photocase.de

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