Für eine konsequente Rückkehr zu G9!

Neuer Gesetzentwurf gefordert

Seit November 2017 liegt der Referentenentwurf für das „Gesetz zur Neuregelung der Dauer der Bildungsgänge im Gymnasium“ vor. Der Entwurf enthält die politische Leitentscheidung für G9 und lässt Schulen zugleich die Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9. Dieses sogenannte Optionsmodell trifft auf breiten Widerstand. Ist die NRW-Koalition stark und selbstbewusst genug, den Entwurf grundlegend zu überarbeiten?

Neun Verbände und Organisationen kritisieren in einer gemeinsamen Stellungnahme den Referentenentwurf der Landesregierung und insbesondere das Optionsmodell. Der Zusammenschluss ist gewichtig – und durchaus ungewöhnlich: Hinter der gemeinsamen Stellungnahme stehen die kommunalen Spitzenverbände Landkreistag sowie Städte- und Gemeindebund, die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW und die Landeselternkonferenz, die Rheinische und die Westfälisch-Lippische Direktorenvereinigung der Gymnasien, der Verband Bildung und Erziehung (VBE) NRW, der DGB NRW und die GEW NRW. Die Organisationen und Verbände repräsentieren Kommunen, Eltern, Schulleiter*innen und Lehrer*innen in Nordrhein-Westfalen und wenden sich gegen den Plan, Gymnasien trotz der politischen Leitentscheidung für G9 eine Wahl zu lassen.

Breites Bündnis – klare Botschaft

In der Vergangenheit haben die Bündnispartner*innen in Sachen Schulzeitverkürzung in der Regel nicht mit einer Stimme gesprochen. Deshalb ist nicht verwunderlich, dass sie auf eine rückblickende Bewertung des bislang praktizierten G8-Systems bewusst verzichten. Sie akzeptieren die Leitentscheidung für eine Wiedereinführung der neunjährigen Gymnasialzeit (G9) und fordern mehr Klarheit. Sie sprechen sich für eine konsequente Wiedereinführung von G9 an allen Gymnasien aus. Dass Schulen im bisher praktizierten G8-Modell verbleiben dürfen, lehnen sie ebenso ab wie die Neugründung von G8-Gymnasien. Auch ein späterer Umstieg soll nicht möglich sein.
Sowohl die Eltern als auch die Gewerkschaften und Lehrer*innenverbände haben von ihren Mitgliedern das deutliche Signal erhalten, dass eine konsequente Rückkehr zu G9 ohne Wahlmöglichkeit gewünscht wird. Damit der Konflikt nicht in den Schulen ausgetragen wird, ist eine einheitliche Lösung für alle Gymnasien erforderlich. Auch die Schulträger stehen der Schaffung zweier Subtypen des Gymnasiums ablehnend gegenüber. Angesichts der notwendigen praxisbezogenen Abwägung zwischen dem Bedürfnis nach organisatorischer Freiheit einerseits und nach einer befriedeten, einheitlichen Schullandschaft andererseits fordern die Bündnispartner*innen die Landesregierung auf, ihre Position zu überdenken und vollständig auf die Schaffung von Wahl- und Wechselmöglichkeiten zu verzichten.
Der ungewöhnliche Zusammenschluss für die Stellungnahme zeigt zweierlei. Erstens: Durchaus vorhandene Unterschiede der schulpolitischen Positionen wurden zurückgestellt, um ein breites Bündnis in dieser Frage zu ermöglichen. Zweitens: Von den Organisationen, deren Stimmen bei der Neuregelung der Dauer der Bildungsgänge am Gymnasium Gewicht haben, fehlen nur der Philologen-Verband (PhV) NRW und der Städtetag. Eigentlich unerklärlich. Warum? Der Städtetag sei an der Parallelität von G8 und G9 als Gestaltungsmöglichkeit für die kommunalen Schulträger interessiert, wie Martin Schenkelberg als Vertreter des Städtetags im November 2017 im Landtag erläutert hat. Kommunales Gestaltungsrecht, das die Bezeichnung verdient, ist im Gesetzentwurf jedoch selbst bei großem Wohlwollen nicht zu finden.
Die Zustimmung des Philologen-Verbands zum Optionsmodell ist eher eine Duldung wider besseren Wissens. Während der Anhörung im Landtag erklärte Peter Silbernagel, Vorsitzender des PhV NRW, man sei damit nicht glücklich, aber es sei eine Regelung, mit der man leben könne. So liegt der Verdacht nahe, dass den Philologen-Verband vor allem seine Nibelungentreue zur NRW-Koalition an der Unterzeichnung der gemeinsamen Stellungnahme gehindert hat. Zustimmung in der Sache geht anders. Sie wäre im Übrigen auch erstaunlich und stünde in diametralem Gegensatz zu den Verlautbarungen des Verbands am runden Tisch.

Wer im Wahlkampf zu spät kommt …

Warum legen CDU und FDP einen Gesetzentwurf mit Optionsmodell vor, das vor der Wahl am runden Tisch und nach der Wahl in der Fachdebatte auf so breite Ablehnung traf und trifft? Im Wahlkampf sind Positionen hilfreich, die die eigene Partei unterscheidbar machen. Die ehemalige Schulministerin Sylvia Löhrmann reagierte für die GRÜNEN am schnellsten, nachdem im Vorwahlkampf absehbar wurde, dass der Druck im Kessel G8 zu groß werden würde. Ihr folgte die SPD. Beide schlugen unterschiedliche Modelle vor, die Wahlmöglichkeiten für Eltern und Schüler*innen vorsahen. CDU und FDP nahmen daher, was noch übrig war, um Reformwillen zu zeigen und ebenfalls Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten im Angebot zu haben. Sie schlugen die Wahlmöglichkeit für jede einzelne Schule vor – bei der FDP bereits garniert mit einem Modell unterschiedlich langer Bildungsgänge an einem Gymnasium.

Liberal geht anders

Vielfalt und Unterscheidbarkeit von Schulen sind von Vorteil, so lautet das liberale Credo. Schüler*innen und ihre Eltern sollen den Bildungsweg selbst bestimmen: Ganztags- oder Halbtagsschule, Gemeinsames Lernen oder ein anderer Förderort, Gymnasium oder Gesamtschule als Weg zum Abitur, diese oder jene Grundschule – die Politik macht Angebote. Warum favorisiert Yvonne Gebauer als liberale Bildungsministerin nun ein Modell, das der größtmöglichen Mehrheit der Eltern und der Schüler*innen keine Möglichkeit gibt, die Länge ihres Bildungswegs bis zum Abitur nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten?
In der Fachdebatte ist weitgehend unumstritten, dass die Schulkonferenzen der Gymnasien für das Schuljahr 2019 / 2020 eine von diesem Zeitpunkt an langfristig geltende Regelung für ihre Schule treffen werden. G9 wird dabei der Regelfall sein; G8-Gymnasien werden mutmaßlich nur einen Anteil von zehn Prozent ausmachen. Diese Entscheidung wird dann unter Mitwirkung von Schüler*innen getroffen werden, die davon keinesfalls betroffen sein werden. Eltern werden zum Teil mit Blick auf etwaige jüngere Kinder entscheiden. Diejenigen, die unmittelbar betroffen sein werden, werden nicht gefragt.
In ihrer gemeinsamen Stellungnahme fordern die neun Organisationen die Landespolitik auf, zu prüfen, ob Familien leistungsstarker Schüler*innen, die sich das Abitur nach acht Jahren wünschen, durch Einrichtung einer institutionalisierten „Überholspur“ im neuen „G9“-Gymnasium eine Möglichkeit dazu eröffnet werden kann. Den erforderlichen Aufwand zur Realisierung dieses Sonderwegs halten die Bündnispartner*innen für deutlich geringer als den, der durch die dauerhafte Vorhaltung zweier Subtypen des Gymnasiums entsteht.
Für die GEW NRW ist in diesem Zusammenhang zudem die Forderung nach einer Reform der gymnasialen Oberstufe von Bedeutung, die nach Vorstellung der Bildungsgewerkschaft in zwei bis vier Jahren zum Abitur führen würde.Eine solche Neuregelung ermöglicht eine dauerhafte Profilbildung und kann die Grundlage sinnvoller Schulentwicklung am Gymnasium sein. Entscheiden würden dann auch diejenigen, die es betrifft.

Stärke zeigen: Zurück auf Start

Sozialticket und Schulzeitverkürzung – was verbindet diese beiden Politikthemen? Eine ganz offenbar falsche Entscheidung der Landesregierung. Die beim Sozialticket wurde zum Glück rasch korrigiert. Die Landesregierung hielt sich hier an das CDU-Wahlkampfmotto „Zuhören. Entscheiden. Handeln.“. Dazu Ministerpräsident Armin Laschet: „Zu meinem Verständnis von Politik gehört es, Fehler zu korrigieren.“ Auch der Referentenentwurf für das „Gesetz zur Neuregelung der Dauer der Bildungsgänge im Gymnasium“ ist ein solcher Fehler. Eine starke und selbstbewusste Landesregierung korrigiert ihn. Noch ist dafür Zeit.


Dorothea Schäfer
Vorsitzende der GEW NRW

Fotos: pollography, elfefee, Jonathan Schöps / photocase.de

 

Gemeinsame Stellungnahme

Bündnis mit klarer Forderung für G9

In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern Landkreistag, Städte- und Gemeindebund, Landes-elternschaft der Gymnasien in NRW, Landeselternkonferenz, Rheinische und Westfälisch-Lippische Direktorenvereinigung der Gymnasien, Verband Bildung und Erziehung (VBE) NRW, DGB NRW und GEW NRW die konsequente Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren:
1. Die unterzeichnenden Organisationen sind dazu bereit, eine Leitentscheidung des Landesgesetzgebers für eine Wiedereinführung der neunjährigen Gymnasialzeit (G9) zu akzeptieren. Eine rückblickende Bewertung des bislang praktizierten Systems (G8) ist mit diesem Bekenntnis nicht verbunden.
2. Für den Fall einer Leitentscheidung der vorgenannten Art des Landesgesetzgebers sprechen sich die unterzeichnenden Organisationen für eine konsequente Wiedereinführung der neunjährigen Gymnasialzeit an allen Gymnasien in Nordrhein-Westfalen aus. Die Schaffung einer Möglichkeit zum Verbleib im bislang praktizierten System lehnen sie ebenso ab wie die Schaffung einer Möglichkeit zur Neugründung von Gymnasien mit achtjähriger Schulzeit. In der Folge soll es auch eine Möglichkeit zum Systemwechsel nicht geben.


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