Schreiben und Sprechen über Geflüchtete

Sprachsensibilisierung

Sprache und Begriffe sind permanent im Wandel. Sie haben Einfluss und Wirkungen auf die Gesellschaft. Das lässt sich vor allem an der Begriffsgeschichte von GastarbeiterInnen aufzeigen: Aus GastarbeiterInnen wurden AusländerInnen, MigrantInnen, Menschen mit Migrationshintergrund und mittlerweile Menschen aus Einwandererfamilien.

Die Veränderung der Sprache lässt sich anhand zahlreicher Beispiele verdeutlichen: In der Arbeitswelt werden in Stellenausschreibungen nicht mehr Putzfrauen oder Putzmänner gesucht, sondern RaumpflegerInnen und der uns bekannte Hausmeister wird durch den Facility Manager ersetzt. Zweifelsohne ist solche Sprachveränderung nichts Ungewöhnliches, notwendig und legitim. Der Sprachwandel bringt jedoch nicht nur veränderte Bezeichnungen, sondern unter Umständen auch eine politische Ausdrucksweise mit sich, die jedoch nicht in allen Fällen angemessen ist.

Menschen sind keine Naturkatastrophen

Ein in Deutschland geborener und sozialisierter Jugendlicher aus einer Einwanderfamilie, der als Ausländer oder Migrant bezeichnet wird, fühlt sich durch diese Zuschreibung ausgegrenzt, ja sogar teilweise diskriminiert. Derart unbedachte Zuschreibungen können neben der Ausgrenzung auch verletzend wirken. Einige alltägliche Begriffe müssen daher überdacht, kritisch hinterfragt und gegebenenfalls ersetzt oder verändert werden.
Das zeigt sich vor allem an der aktuellen Thematik der geflüchteten Menschen: In den 1980er Jahren wurde insbesondere durch die Medien der negativ konnotierte Begriff „AsylantIn“ geprägt, statt von AsylbewerberInnen zu sprechen. Auch heute wird die Bezeichnung „AsylantInnen“ immer noch verwendet, vor allem – aber nicht nur – von Pegida-AnhängerInnen. Zugespitzt wurde der Begriff dann in den 1990er Jahren mit der Beschreibung „Asylantenstrom“ oder „Asylanten-flut“. Und heute kehren Beschreibungen wie „Flüchtlingsstrom“ und „Flüchtlingswelle“ in den Sprachgebrauch zurück, wodurch Geflüchtete mit Naturkatastrophen gleichgesetzt und somit als Gefahr dargestellt werden. 

Sprachsensibilisierung im Alltag

Ebenso gilt das Wort „Flüchtling“ mittlerweile als politisch nicht korrekt beziehungsweise nicht angemessen. Zum einen wegen seiner Endung „ling“, die als kleinmachend und abwertend empfunden wird. Zum anderen auch, weil hinter dem „ling“ die persönlichen Gründe, Schicksale und Geschichten der Menschen, die aus ihrem Heimatland fliehen mussten, verschwinden. Als Alternative wird unter anderem das neutrale Wort „Geflüchtete“ verwendet.
Die beispielhaft dargestellten Beschreibungen und Metaphern machen deutlich, wie sensibel im Alltag mit der Sprache umgegangen werden muss. Manche Wörter können in Bezug auf das Thema Flucht allzu schnell das Gefühl transportieren, dass Geflüchtete nicht als Schutzsuchende, sondern viel mehr als Bedrohung gesehen werden. Die Gefahr, dass solche Zuschreibungen und negativ konnotierte Begriffe Einzug in die Alltagssprache halten, ist nicht von der Hand zu weisen. Umso wichtiger ist die Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten und der dazugehörigen sprachlichen Sensibilisierung.
Ob in Bildungseinrichtungen, in den (sozialen) Medien oder auch im privaten Umfeld: Allzu oft werden in emotional geführten Debatten Begriffe gedankenlos verwendet oder unreflektiert in den eigenen Wortschatz übernommen.

Sprachlicher Gewalt entgegenwirken

Die Sprachwissenschaftlerin Professorin Ruth Wodak drückt die Bedeutung so aus: „Durch Sprache werden Ideologien und Werthaltungen transportiert. Es geht darum, Menschen nicht abzuwerten. Sprachliche Gewalt ebnet den Weg für physische Gewalt. Darüber nachzudenken, welche Begriffe man verwendet, sollte also im Interesse von allen sein.“ Dass „Flüchtling“ als Wort des Jahres 2015 gewählt wurde, bedeutet eben nicht, dass es sich um ein wertneutrales Wort handelt. Zu schnell bestimmen Medien und soziale Netzwerke die Begriffsbestimmungen. Insbesondere LehrerInnen und ihren SchülerInnen muss bewusst sein, dass Begriffe auch Einstellungen ausdrücken. Die deutsche Sprache bietet genügend alternative und wertneutrale Begriffe, die genutzt werden können –  solange man sich mit ihnen auseinandersetzt.

Senol Keser
Freier Journalist und Mitglied des Ausschusses für multikulturelle Politik der GEW NRW 

Foto: Mella / fotocase.de

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