Die Quote ist überholt

Frühkindliche Bildung für unter Dreijährige

Im Bochumer Memorandum wurde 2011 als Zielsetzung formuliert: „Um dem gesetzlich vorgegebenen Ziel nachzukommen, bis 2013 für 35 Prozent aller unter dreijährigen Kinder Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen, müssen ab 2011 bis 2013 jährlich 30.000 Plätze zusätzlich geschaffen werden.“ Ein Blick in die aktuellen Daten zeigt, dass Nordrhein-Westfalen zum Stichtag 31. März 2015 immer noch weit davon entfernt war, die bundesweit gesetzlich vorgeschriebene 35-Prozent-Quote zu erreichen.

Insgesamt standen in NRW im Betreuungsjahr 2014 / 2015  lediglich für 25,8 Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze zur Verfügung – für 18,7 Prozent in Tageseinrichtungen und für weitere 7,2 Prozent im Bereich der öffentlich geförderten Kindertagespflege. Hätte das Land die 35-Prozent-Marke, die rund 159.000 Plätze insgesamt bedeutet, in 2015 tatsächlich erreicht, so hätten anstelle der etwa 117.400 Krippenplätze 41.600 Plätze mehr verfügbar sein müssen.

NRW ist Schlusslicht beim Ländervergleich

Beim Vergleich der nordrhein-westfälischen Betreuungsquote von 25,8 Prozent mit den entsprechenden Quoten der anderen 15 Bundesländer zeigt sich, dass NRW bei der frühkindlichen Betreuung bundesweit den letzten Platz einnimmt. Die für 2015 vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Daten bestätigen, dass die Betreuungsquote der unter Dreijährigen in Deutschland insgesamt bei 32,9 Prozent liegt – also auch deutschlandweit noch knapp unter der Zielquote von 35 Prozent.
Auffallend ist, dass in 2015 alle fünf neuen Bundesländer Quoten zwischen 50,6 Prozent (Sachsen) und 57,9 Prozent (Sachsen-Anhalt) erreichen konnten, während die entsprechenden Quoten in den alten Bundesländern bei den Flächenländern zwischen 25,8 Prozent (Nord-rhein-Westfalen) und 31,4 (Schleswig-Holstein) lagen. Die Stadtstaaten erreichten 27,1 Prozent (Bremen), 43,3 Prozent (Hamburg) und 45,9 Prozent (Berlin). Die Tatsache, dass in allen fünf neuen Bundesländern mehr als jedes zweite Kind einen Krippenplatz hat und nutzt und dass auch Hamburg und Berlin Quoten von mehr als 40 Prozent erreicht haben, weist darauf hin, dass die gesetzlich vorgegebene 35-Prozent-Quote kaum bedarfsdeckend ist.

Prognosen der Geburtenraten korrigieren

Selbst dann, wenn sich NRW lediglich die vorgeschriebene 35-Prozent-Marke zum Ziel setzt, ist ein großer Kraftakt erforderlich: Denn angesichts der demografischen Entwicklung  müssen nicht nur die für dieses Ziel aktuell notwendigen etwa 41.600 zusätzlichen Plätze geschaffen werden. Zwei Faktoren der demografischen Entwicklung sind dafür verantwortlich: die wieder steigenden Geburtenzahlen und die Kinder von Geflüchteten.
In NRW wurden 2013 insgesamt etwa 146.100 Kinder geboren. Auf Basis der Daten aus 2013 haben die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder im Herbst 2015 eine Bevölkerungsprognose für die kommenden Jahre vorgelegt: Für NRW wurde für das Jahr 2014 eine Geburtenzahl von 147.500 prognostiziert. Geboren wurden in 2014 aber 155.100 Kinder – also 9.000 Kinder mehr als in 2013 und 7.600 mehr als noch vor einigen Monaten für 2014 vorhergesagt. Die Geburtenzahlen der ersten sechs Monate des Jahres 2015 lassen erwarten, dass sich dieser Anstieg in den kommenden Jahren stabilisiert.
Die Anzahl der zu betreuenden unter Dreijährigen erhöht sich zugleich durch die Kinder von Geflüchteten. Hinsichtlich der Größenordnung lassen sich einstweilen nur grobe Schätzungen abgeben: Wenn man davon ausgeht, dass etwa ein Fünftel der für 2015 erwarteten Zahl von einer Million Flüchtlingen nach NRW kommt und dass von diesen 200.000 Menschen in den Jahrgängen der unter Sechzehnjährigen jeder Jahrgang etwa 1,6 Prozent der insgesamt Zuwandernden stark ist, bedeutet dies bei den unter Dreijährigen zusätzlich etwa 3.200 Kinder im Krippenalter.

Ausbau der Betreuungsangebote erfordert mehr Anstrengungen

Gegenüber der derzeitigen Prognose der Statistischen Ämter muss Nordrhein-Westfalen in den kommenden Jahren infolge der gestiegenen Geburtenzahlen und der Zuwandererkinder mit mehr als je Jahrgang 10.000 und bezogen auf die drei Jahrgänge der unter Dreijährigen mit mehr als 30.000 bisher nicht eingeplanten Kindern im Krippenalter rechnen. Wenn das Land seine Anstrengungen beim Ausbau der Betreuungsangebote nicht vervielfacht, ist zu erwarten, dass die 35-Prozent-Quote nicht nur nicht erreicht wird, sondern dass der bisher erreichte Ausbaustand von knapp 26 Prozent nicht gehalten werden kann. Auch Schlusslichter können noch zurückfallen.

Klaus Klemm
Bildungsforscher

Foto: Unschuldslamm / photocase.de

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